Generalstreik – Wie Gewerkschaften 1920 einen rechten Putsch verhinderten
Shownotes
1920 legten 12 Millionen Menschen in der Weimarer Republik ihre Arbeit nieder, um die Machtübernahme rechter Putschisten zu verhindern. Und es klappte! Nach nur wenigen Tagen mussten die Putschisten einsehen, dass sie gescheitert waren. Die erste Demokratie auf deutschem Boden war gerettet. Alles dank des Generalstreiks!
Heute sind politische Streiks, zu denen auch Generalstreiks gehören, in Deutschland nicht erlaubt. Inés Heider, Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und ehemalige Sprecherin der Jungen GEW Berlin findet: Das sollte sich ändern. Insbesondere jetzt, da die AfD die zweistärkste Kraft im Bundestag ist, sollten Gewerkschaften dieses Druckmittel nutzen können, um die Demokratie gegen Angriffe zu verteidigen.
Aber diese Position ist innerhalb der Gewerkschaften umstritten. Ernesto Klengel, Direktor des Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung ordnet ein, wie es dazu kam, dass politischen Streiks in Deutschland heute die Rechtsgrundlage fehlt.
„Geschichte wird gemacht” ist eine Produktion von Hauseins im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung.
Host: Katharina Alexander
Redaktion: Katharina Alexander für Hauseins und Dieter Pougin für die Hans-Böckler-Stiftung
Produktionsleitung: Stefanie Groth
Schnitt und Sounddesign: Joscha Grunewald
Wir empfehlen: „Maloche und Malibu. Der IG Metall Podcast für gute Arbeit und ein gutes Leben.“
Links & Hintergründe
Michael Schneider: Der Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch im März 1920
NDR: Versailler Vertrag: Unterzeichnung, Inhalt und Folgen
Lebendiges Museum Online: Der Lüttwitz-Kapp-Putsch 1920
GEW Schleswig Holstein: Kapp-Putsch im März 1920: 76 Tote und 200 Verwundete in Kiel
GEW Berlin: Streikchronik 2018
MDR: Ist ein Generalstreik in Deutschland möglich?
Tagesschau: Warum in Frankreich so viel gestreikt wird
Deutschlandfunk: Warum in Deutschland viel weniger gestreikt wird als in Frankreich
Transkript anzeigen
00:00:00: *Protestrufe* Es gibt kein Recht auf Ausbeutung der Seele!
00:00:08: *Musik*
00:00:23: Katharina Alexander: Hey, ich bin Katharina Alexander und ihr hört Geschichte wird gemacht. Ich arbeite an diesem Podcast als Redakteurin mit und heute vertrete ich Maria als Moderatorin. Jede Person hat schließlich mal eine Pause verdient.
00:00:37: *Musik*
00:00:40: Vor zwei Monaten, im Februar, sind deutschlandweit ungefähr 130.000 Menschen beim Klimastreik auf die Straße gegangen. Der Witz dabei ist, wenn man es ganz genau nimmt, dann ist der Klimastreik in Deutschland gar kein Streik, sondern eine Demonstration. Whatever, denkt ihr jetzt vielleicht, Hauptsache auf die Straße gehen und laut sein und sich für das engagieren, was einem wichtig ist.
00:01:04: Inés Heider: Wenn man streikt, dann kann man ja einfach die ganze Stadt lahmlegen.
00:01:08: Katharina Alexander: Das sagt Inés Heider. Sie ist Sozialarbeiterin und arbeitet gerade als Vertretungslehrerin an einer sogenannten Brennpunktschule in Berlin. Bis letztes Jahr war sie Vorsitzende der Jungen GEW, der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft. Dort ist sie auch heute noch Mitglied. Inés weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es gerade in brenzligen Situationen sein kann, Mitglied in einer Gewerkschaft zu sein.
00:01:32: Inés Heider: Ich habe bis 2023 für den TJFBG gearbeitet, die Technische Jugendfreizeitbildungsgesellschaft. Einen sehr großen Träger in Berlin, der Schulsozialarbeit insbesondere als Schulsozialarbeiterin an der Schule, an der ich jetzt als Lehrerin arbeite. Und habe dann da mit meinen Kolleginnen zusammen haben wir uns organisiert für bessere Arbeitsbedingungen. Und dann halt gegen die Kürzungen, als in Neukölln angekündigt wurde, dass im Sozialhaushalt 22,8 Millionen Euro gestrichen werden sollen.
00:02:00: Katharina Alexander: Von diesen Kürzungen sind vor allem Kinder aus einkommensschwachen Familien betroffen. Auch viele der Kinder und Jugendlichen, mit denen Inés damals arbeitet.
00:02:09: Inés Heider: Unsere Schulleitung hat uns damals auch aufgerufen, zu diesen Protesten zu gehen. Und dann habe ich eine Mail geschrieben über den Verteiler von diesem sozialen Träger und darauf aufmerksam gemacht. Also ich habe jetzt nicht weiter dazu aufgerufen oder so. Woraufhin der mir direkt fristlos gekündigt hat, weil ich die Geschäftsbeziehung zum Bezirksamt Neukölln gefährden würde.
00:02:26: Katharina Alexander: Inés vermutet, dass ihr damaliger Arbeitgeber sie vor allem loswerden möchte, weil sie Betriebsratswahlen organisiert hat.
00:02:33: Inés Heider: Ich glaube, die haben so ein bisschen darauf gewartet, dass sie irgendeinen Vorwand haben können, um mich fristlos zu kündigen. Und die Gewerkschaft hat sich da krass hinter mich gestellt. Also die haben mich nicht nur juristisch beraten und mir da auch Rechtsschutz zugesagt, sondern auch Kundgebungen organisiert, waren mit bei den Gerichtsterminen. Es gab viele Solidaritätsbotschaften von Lehrkräften, Sozialarbeitern, ErzieherInnen natürlich, aber auch PolitikerInnen, GewerkschaftInnen anderer Gewerkschaften und so weiter.
00:03:00: Katharina Alexander: In der ersten Instanz wird Inés' Kündigung als rechtswidrig erklärt. Ihr ehemaliger Arbeitgeber hat aber Revision eingelegt. Im Mai geht das Verfahren in die zweite Instanz. Aber Inés will weiter kämpfen und, wenn es sein muss, auch bis vor das Bundesarbeitsgericht ziehen.
00:03:16: Inés Heider: Es war für mich ein ganz wichtiges Moment, irgendwie zu merken, dass ich nicht alleine bin, weil man sich in solchen Momenten sehr oft irgendwie sehr alleine fühlt, wo ich echt froh war, sozusagen gewerkschaftlich organisiert zu sein.
00:03:28: Katharina Alexander: Inés ist also eine Person, die aus eigener Erfahrung weiß, wie viel Kraft es einem geben kann, in Gewerkschaften organisiert zu sein. Sie selbst ist während ihres Studiums vor sieben Jahren beigetreten. Damals streiken die studentischen Beschäftigten in Berlin für bessere Löhne. Und Inés hat gerade einen Job an der Uni angenommen.
00:03:47: Inés Heider: Und dann auch direkt, als ich den Job bekommen habe, eigentlich angefangen zu streiken. Da sind wir in die Streikhochphase gegangen. Und ich hatte ehrlich gesagt vorher gar keine Ahnung von Gewerkschaften. Ich kannte das irgendwie so aus der Tagesschau. Und man denkt sich immer so, ja, was bedeutet das eigentlich, wenn man jetzt nicht sozusagen damit in Verbindung ist und dachte halt so, ja gut, dann trete ich jetzt der Gewerkschaft bei, ist ja meine Interessenvertretung.
00:04:06: Katharina Alexander: Zu dem Zeitpunkt waren die Löhne von studentischen Hilfskräften seit 17 Jahren nicht mehr angehoben worden. Das wichtigste Ziel des Streiks ist also eine faire Bezahlung. Aber Inés und die anderen Studis finden auch andere politische Themen wichtig. Als sie diese mit dem Streik verknüpfen wollen, wird es aber schwierig.
00:04:24: Inés Heider: Das war dann eine sehr schnelle Erfahrung mit Gewerkschaftssekretären, die dann gesagt haben, nee, das geht nicht. Die Transparente gemalt mit feministischen, antifaschistischen Forderungen. Wie konfiszieren wir das? Hat nichts mit dem Streik zu tun und so.
00:04:35: *Musik*
00:04:38: Katharina Alexander: Einerseits erlebt Inés in dieser Zeit, wie Beschäftigte mit ihrer Gewerkschaft für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Gleichzeitig irritiert es sie aber, dass Plakate mit politischen Forderungen bei dem Streik nicht erwünscht waren. Das hängt damit zusammen, dass sich die Forderungen von Streiks in Deutschland an ArbeitgeberInnen richten und nicht an den Gesetzgeber. In der Geschichte gab es aber auch Ausnahmen. Und 1920 hat ein Generalstreik, das ist die weitreichendste Art des politischen Streiks dazu beigetragen, dass eine Gruppe rechter Putschisten gescheitert ist. Es ist die Nacht vor dem 13. März 1920, einem Samstag. Im Dunkeln marschieren über 5000 Männer auf das Regierungsviertel in Berlin zu. Sie tragen Waffen und manche von ihnen schwarze Stahlhelme mit Hakenkreuzen. Und sie haben ein Ziel. Reichskanzler Gustav Bauer stürzen und die Macht in der Weimarer Republik übernehmen.
00:05:38: Michael Schneider: Die Situation im Frühjahr 1920 war natürlich alles andere als gefestigt und übersichtlich.
00:05:45: Katharina Alexander: Michael Schneider ist Historiker und forscht zur Geschichte der Gewerkschaften.
00:05:48: *Musik*
00:05:50: Kleiner Recap. 1918 endete der Erste Weltkrieg. Das Deutsche Reich war besiegt worden und musste den Versailler Vertrag unterschreiben. Die Novemberrevolution führte zur Absetzung des Kaisers und mit der Gründung der Weimarer Republik zur ersten Demokratie auf deutschem Boden.
00:06:08: Michael Schneider: Aber das bedeutete ja nicht, dass die Situation gefestigt war, dass diese junge Republik stabil war, sondern auf beiden Seiten des politischen Spektrums, auf den radikalen Seiten, regten sich Widerstände gegen diese Republik. Das waren auf der Linken diejenigen, vor allen Dingen in der USPD und in der gerade gegründeten Kommunistischen Partei, diejenigen, die der Sozialdemokratie vorgeworfen haben, sie seien Verräter an der Arbeiterklasse, sie hätten die Revolution viel zu früh gebremst, es müsse weitergehen. Also mit anderen Worten, die eigentliche Revolution sei ja überhaupt noch nicht zu Ende. Aber auf der Rechten gab es natürlich auch jede Menge Gegner, die einerseits Anhänger der Monarchie waren oder aber in ein ganz anderes politisches System wollten, die also der Mehrheit Sozialdemokratie und den mit ihnen Verbündeten in der Weimarer Koalition vorwarfen, sie seien Erfüllungspolitiker.
00:06:59: Katharina Alexander: Erfüllungspolitiker, so wurden diejenigen genannt, die die Forderungen von vermeintlichen Feinden akzeptierten und damit gegen die Interessen des eigenen Landes handelten. Der Begriff wurde besonders für die Politiker verwendet, die den Versailler Vertrag akzeptierten. Laut dem musste das Deutsche Reich nämlich die volle Verantwortung für den Ersten Weltkrieg übernehmen, Gebiete abtreten und richtig viel Geld als Reparationsleistung bezahlen.
00:07:23: Michael Schneider: Und das Ganze lagerte auf einer sozialen Situation, in der ja Massenarbeitslosigkeit herrschte, in der sich Inflation ankündigte. Also Not, Elend, Unzufriedenheit, Zukunftsangst. Das prägte die Situation.
00:07:38: Katharina Alexander: Und eine weitere Sache steht im Versailler Vertrag. Das deutsche Heer soll verkleinert werden. Es darf nur noch eine bestimmte Anzahl von Berufssoldaten geben und die Freikorps, eine Art Armee aus Freiwilligen, sollten komplett aufgelöst werden.
00:07:52: Michael Schneider: Insgesamt waren in den Freikorps ungefähr 400.000 Menschen, Männer, organisiert, zumeist ehemalige Soldaten.
00:08:01: Katharina Alexander: Und die sind gar nicht begeistert davon, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Viele Mitglieder der Freikorps schließen sich in der Nationalen Vereinigung zusammen, einer parteiähnlichen Organisation, die gegen die Weimarer Republik ist.
00:08:13: Michael Schneider: Die Wortführer, die bekanntesten waren der Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp. Die Position ist am ehesten mit einem Regierungspräsidenten zu vergleichen. Dann General Walther Freiherr von Lütwitz und der Chef des Truppenamtes Hans von Seeckt und der Offizier Waldemar Pabst, der für die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919 verantwortlich war. Das waren die bekanntesten Köpfe. Sie zielten darauf, dieses verhasste System der Weimarer Republik abzuschaffen und eine nationalistische, autoritäre, von manchen auch angestrebt, monarchische Ordnung einzuführen.
00:08:54: Katharina Alexander: Und am 13. März sehen Kapp, von Lütwitz und die anderen ihre Chance, endlich das System zu stürzen. Kurz vorher war nämlich die Auflösung von zwei Marinebrigaden angeordnet worden.
00:09:05: Michael Schneider: Dies zu verhindern trat diese Gruppe im März 1920 an, einen Putschversuch zu wagen. Dahinter standen im Übrigen die ostelbischen Großgrundbesitzer, die den Putschisten sowohl Waffenlager, Geld und auch das Aufmarschgebiet für den Sturm auf Berlin zur Verfügung gestellt haben.
00:09:24: Katharina Alexander: Ostelbien. So nennt man damals das Gebiet östlich der Elbe. Wer dort lebte und ordentlich Kohle hatte, der hatte vor der Novemberrevolution politisch richtig viel zu sagen. Dementsprechend waren die Großgrundbesitzer dort nicht gerade daran interessiert, ein demokratisches System mit aufzubauen.
00:09:42: Michael Schneider: In der Nacht zum 13. März, einem Samstag, setzten die Putschisten also ihren Marsch auf Berlin an. Diese Nachricht traf in Berlin in der Nacht auch ein, dass der Putsch im Gange sei.
00:09:56: Katharina Alexander: Gustav Noske, der damals Reichswehrminister ist, ruft noch in der Nacht eine Krisensitzung ein. Er kommt zu dem Schluss, dass die Reichswehr in Berlin nicht gut genug ausgestattet ist, um die Putschisten aufzuhalten.
00:10:09: Michael Schneider: Daraufhin beschlossen die sozialdemokratischen Mitglieder der Reichsregierung, aus Berlin zu fliehen, weil sie wussten, dass ihnen, wenn sie den Putschisten in die Hände fallen würden, ein bitteres Schicksal beschieden sein würde.
00:10:22: Katharina Alexander: Reichskanzler Gustav Bauer und sein Kabinett müssen also fürchten, dass sie im schlimmsten Fall hingerichtet werden, wenn die Putschisten sie kriegen. Darum fliehen sie. Erst nach Dresden und dann weiter nach Stuttgart.
00:10:34: Michael Schneider: Am Morgen des Samstags, des 13. März, waren die Putschisten in Berlin. Die Brigade Ehrhardt besetzte mit ihren 5000 Soldaten im Berliner Regierungsviertel die Regierungsgebäude, die Zeitungsverlage, die Straßenkreuzungen und am Morgen des 13. März rief sich Kapp zum Reichskanzler aus. Nicht nur Berlin war im Übrigen betroffen, sondern auch in anderen Städten sind Freikorps-Brigaden einmarschiert und haben Verkehrsknotenpunkte besetzt.
00:11:10: Katharina Alexander: Die Weimarer Republik ist also in der Hand rechter Putschisten, die stark bewaffnet sind. Militärisch scheint es aussichtslos, gegen Kapp und die Brigaden vorzugehen. Aber es gibt eine andere Gruppe, die sehr gut vernetzt ist und friedlichen Widerstand leistet.
00:11:25: Michael Schneider: Am Morgen des 13. riefen die Sozialdemokraten, die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf zum Generalstreik.
00:11:36: Katharina Alexander: Ein Generalstreik. Das heißt, alle legen ihre Arbeit nieder und streiken zusammen für ein Ziel. In diesem Fall für ein Ende des Putsches. Ich kann mir das aus heutiger Sicht nur total schwer vorstellen, wie damals deutschlandweit in kürzester Zeit Millionen Menschen mobilisiert wurden, ohne Internet.
00:11:55: Michael Schneider: Also es war nicht so, dass es Telefonketten gegeben hätte von den Mitgliedern der Gewerkschaften aus, sondern das waren Zeitungsaufrufe, in denen es publiziert wurde. Und dann muss man sich klar machen, es gab damals eine sehr viel dichtere und raschere Folge von Zeitungen, die auch mit Sonderausgaben innerhalb eines Tages erschienen. Also Morgenausgabe, Abendausgabe war sowieso eine Selbstverständlichkeit. Und dann kamen eben Sonderausgaben dazu. Aber am stärksten wirkte sich mit Sicherheit aus, dass in den Betrieben, dass auf öffentlichen Plätzen Handzettel verteilt worden sind, die diesen Generalstreik bekannt gemacht haben und dazu aufgerufen haben.
00:12:33: Katharina Alexander: Noch am 13. März schließen sich die Freien Gewerkschaften und die Angestelltenvereinigung dem Generalstreik an. In den nächsten Tagen kommen dann noch die christlichen Gewerkschaften, der Beamtenbund, die Kommunistische Partei und die USPD dazu.
00:12:47: Michael Schneider: Am Samstag und Sonntag fing es ja erst langsam an, wenn die Leute sowieso nicht zur Arbeit gehen, fällt ein Generalstreik auch nicht sonderlich auf. Aber am Montag wirkte er sich deutlich aus. Der Eisenbahnverkehr ruhte, die Straßenbahnen und Busse blieben in den Depots, die Post wurde nicht zugestellt, die Telefonvermittlung arbeitete nicht mehr, keine Zeitungen wurden gedruckt, Fabriken und Behörden schlossen. Und auch, und das war für die Putschisten von besonderer Bedeutung, auch die Beamten des Reichs und Preußens verweigerten den Putschisten die Gefolgschaft. Die Reichsbank lehnte es ab, den Sold für die putschenden Soldaten auszuzahlen, mit anderen Worten, die Putschregierung hatte keine Handlungsmöglichkeiten, keine Möglichkeiten, an Geld zu kommen, keine Möglichkeiten, ihre Ziele, ihre Propaganda in die Bevölkerung hineinzutragen.
00:13:41: Katharina Alexander: Insgesamt beteiligen sich rund 12 Millionen Menschen an dem Streik. Das ist etwa jede fünfte Person in der Weimarer Republik. Und die Wirkung lässt nicht lange auf sich warten. Nach nur vier Tagen, am 17. März 1920, müssen die Putschisten einsehen, sie haben verloren.
00:13:58: Michael Schneider: Kapp ist nach Schweden geflohen, Lütwitz ist nach Ungarn geflohen und am 18. März zog die Brigade Ehrhardt aus dem Berliner Regierungsviertel ab.
00:14:10: Katharina Alexander: Die Brigade Ehrhardt zieht also, immer noch bewaffnet, durch Berlin und marschiert dort auch durchs Brandenburger Tor.
00:14:17: Michael Schneider: Demonstrierende haben den Zug mit Buhrufen und Pfuirufen und Pfiffen begleitet. Daraufhin haben Soldaten der Brigade Ehrhardt in die Menge geschossen, mit Maschinengewehren, zwölf Tote und 30 Schwerverletzte waren zu beklagen. Aber damit war der Putsch zu Ende.
00:14:35: Katharina Alexander: Und die Menschen, die in Berlin auf diesem Weg getötet werden, sind nicht die einzigen Opfer. In ganz Deutschland kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Putschisten und Streikenden. In Kiel werden 76 Arbeiter von Freikorps getötet. Auch in Dresden, Potsdam, Weimar, Greifswald, Halle und vielen anderen Städten werden Menschen verletzt und ermordet. Mit dem Abzug der Putschisten ist der Generalstreik aber noch nicht beendet. Die Gewerkschaften hoffen, nach diesem Erfolg in der nächsten Regierung mehr Mitspracherechte zu bekommen. Dafür verfassen sie ein Neun-Punkte-Programm, in dem sie unter anderem fordern, dass es neue wirtschafts- und sozialpolitische Gesetze gibt, und die Gewerkschaften an einer Umgestaltung der Regierung beteiligt werden.
00:15:23: Michael Schneider: Die Front allerdings bröckelte zu diesem Zeitpunkt. Die christlichen Gewerkschaften haben sich an den Forderungen der freien Gewerkschaften nicht beteiligt, sondern haben dies als einen Versuch der politischen Erpressung interpretiert, an dem sie eben nicht mitmachen wollten.
00:15:40: Katharina Alexander: Trotzdem setzen sich eine Woche nach Beginn des Putsches Vertreter der freien Gewerkschaften und der alten Regierung zusammen.
00:15:46: Michael Schneider: Die Gewerkschaften haben ihre Forderungen vorgetragen aus dem Neun-Punkte-Programm, haben sich damit aber nicht durchsetzen können, sondern sie begnügten sich am Ende mit der Zusage, dass die Regierung die Forderungen der Gewerkschaften berücksichtigen würde, mit der Wiederaufnahme der Regierungstätigkeit.
00:16:04: Katharina Alexander: Das heißt, die Regierung von Kanzler Bauer sichert den Gewerkschaften zu, keine Sorge, wir sind euch dankbar für den Generalstreik, wir werden euch schon einbinden in unsere Entscheidung. Aber jetzt haltet euch erstmal zurück und lasst uns mal machen. Und die Gewerkschaften stimmen zu.
00:16:20: Michael Schneider: Am 22. März haben sie den Generalstreik beendet und am 23. März ist dann die Arbeit wieder aufgenommen worden.
00:16:27: *Musik*
00:16:31: Katharina Alexander: Das Kabinett von Reichskanzler Bauer tritt zurück und wird durch eine Koalition aus SPD, Zentrumspartei und DDP, der liberalen, deutschen, demokratischen Partei ersetzt.
00:16:42: Michael Schneider: Die Situation für die freien Gewerkschaften und ihre Forderungen wurden dann im Sommer 1920 vollends obsolet, als nach den Juni-Wahlen die Stimmzahl der SPD fast halbiert worden ist und eine neue Koalitionsregierung unter Zentrum deutscher demokratischer Partei und deutscher Volkspartei unter Reichskanzler Konstantin Fehrenbach gebildet wurde.
00:17:07: Katharina Alexander: Durch diese neue, konservativere Regierung verlieren die Gewerkschaften an politischem Einfluss. Ihr Plan, die deutsche Politik weiterhin aktiv mitzugestalten, ist erstmal dahin.
00:17:18: *Musik*
00:17:19: Katharina Alexander: Trotzdem, ohne die Gewerkschaften und den Generalstreik hätte man die Putschisten nicht aufhalten können. Welche Auswirkungen das für die junge Demokratie in der Weimarer Republik hatte, das kann man natürlich nur vermuten. Aber wahrscheinlich hat es schon dazu beigetragen, dass Deutschland nicht schon Anfang der 20er Jahre stark nach rechtsaußen gerutscht ist. Gleichzeitig habe ich mich gefragt, wenn der Generalstreik 1920 erfolgreich die Demokratie verteidigt hat, warum haben die Gewerkschaften dann 1933 nicht auch dazu aufgerufen, als die Nazis die Macht ergriffen haben?
00:17:55: Michael Schneider: Inzwischen hatte sich die Situation unter mehrfachem Aspekt grundsätzlich verändert. Als erstes muss man sicherlich die Weltwirtschaftskrise nennen, die ja ein massenhaftes Elend ausgelöst hat, das zu einer Verzweiflung, zu einer Demokratieablehnung in weiten Kreisen der Bevölkerung geführt hat. Der zweite Punkt ist mit Sicherheit, dass die Kluft zwischen Sozialdemokratie und Kommunisten, sich in einer Form verschärft hat, dass es zu diesem Zeitpunkt schlechterdings undenkbar war, dass die beiden noch einmal gemeinsam eine Abwehrreaktion gegen den aufkommenden Nationalsozialismus organisieren würden. Hinzu kommt, dass die Nationalsozialisten ja Lehren aus den Putschs Anfang der 20er Jahre gezogen haben. Man hat eine ganz neue Strategie der Massenmobilisierung angewandt. Einerseits Gewalt auf der Straße, aber andererseits Wahlen.
00:18:57: Katharina Alexander: Anstatt gewaltsam die Macht zu übernehmen, hatten die Nationalsozialisten sich im gesellschaftlichen Mainstream etabliert und sich politisch durch Wahlen legitimieren lassen. Und heute, wo wir wieder einen extremen Rechtsruck erleben, welche Rolle spielen die Gewerkschaften da? Michael Schneider betont, dass wir Gewerkschaften bei der Verteidigung der Demokratie nicht alleine lassen dürfen.
00:19:19: Michael Schneider: Dazu bedarf es einer liberalen, einer freiheitlichen und aktiven Zivilgesellschaft, in der alle, also die Vertreter von sozialen Bewegungen, von politischen Parteien, von Medien, von Bildungseinrichtungen, auch der Polizei und der Justiz zusammenstehen, um einen solchen Angriff auf die Demokratie abzuwehren.
00:19:44: *Musik*
00:19:47: Katharina Alexander: Einen Generalstreik wie 1920 gab es danach nicht nochmal. Während der Herrschaft der Nazis wurden die Gewerkschaften zerschlagen und konnten nicht politisch agieren. Und in der Nachkriegszeit hat sich dann die Idee durchgesetzt, dass man zwar für bessere Arbeitszeiten oder Bezahlung streiken darf, aber eben nicht für politische Ziele. Aber warum eigentlich? Darüber habe ich mit Ernesto Klengel gesprochen. Er ist Jurist und leitet das Hugo-Sinsheimer-Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung. Das heißt, er weiß genau, wer wann und warum streiken darf.
00:20:22: Ernesto Klengel: In Deutschland gibt es kein Streikgesetz. Wir haben keine Rechtsgrundlage dafür, auf die wir uns beziehen können, wenn wir beurteilen wollen, ob ein Streik zulässig ist oder nicht.
00:20:33: Katharina Alexander: Das heißt, wenn ein Gericht feststellen will, ob ein Streik zulässig war, muss es sich auf das Grundgesetz beziehen.
00:20:39: Ernesto Klengel: Wir haben in Artikel 9 Absatz 3 im Grundgesetz eine ganz wichtige Vorschrift. Da heißt es heute, das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Es geht also um die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Und damit das klappt, muss man auch streiken können.
00:21:00: Katharina Alexander: 1949 wurde das Grundgesetz verabschiedet. Und wie es ausgelegt wird, dafür waren die ersten Jahre danach ziemlich entscheidend.
00:21:10: Ernesto Klengel: In der Zeit waren gerade Juristinnen und Juristen nicht besonders fortschrittlich eingestellt. Das war einfach Nachkriegszeit. Streiks, wurde ganz offen gesagt von den Gerichten, wurden als sozial unerwünscht angesehen, eben gerade noch zulässig und man hat da einige restriktive Prinzipien entwickelt, die nicht alle, aber teilweise heute noch fortbestehen.
00:21:30: Katharina Alexander: Damals setzte sich die Idee durch, dass Streiks wichtig sind, um Arbeitgeber bei tariflichen Konflikten unter Druck zu setzen.
00:21:37: Ernesto Klengel: Aber man darf nicht sozusagen in den Wirkungsbereich und in die Meinungsbildung des parlamentarischen Gesetzgebers eingreifen, indem man ihn unter Druck setzt mit Mitteln, die außerhalb von Wahlen stattfinden.
00:21:50: Katharina Alexander: Das ist im Grundsatz bis heute so. Allerdings gibt es auch Urteile des Bundesarbeitsgerichts, die andeuten, ob Streiks wirklich nur in tarifvertraglichen Fällen erlaubt sind, das sollte man sich nochmal genauer angucken, hat aber bisher keiner gemacht. Ganz anders ist es übrigens in anderen Ländern, in Frankreich zum Beispiel. Vor zwei Jahren gab es dort einen Generalstreik, um eine geplante Rentenreform zu verhindern. Nach der sollten die Menschen in Frankreich statt mit 62 erst mit 64 Jahren in Rente gehen. Über Monate sind hunderttausende Menschen dagegen auf die Straße gegangen. Das Personal der Bahn und an Flughäfen hat gestreikt, genauso wie die Müllabfuhr. Eingeführt wurde die Reform letztendlich trotzdem.
00:22:32: Ernesto Klengel: In Deutschland ist es eher gedacht, als Recht der Gewerkschaft dann zum Streik aufzurufen und dann haben auch die Beschäftigten das Recht zu streiken. Aber in Frankreich ist es eben vor allen Dingen dieses Individualrecht auch streiken zu dürfen.
00:22:44: Katharina Alexander: Wann man streiken darf, das hat je nach Land eine lange historische Tradition und hängt davon ab, wie viele Menschen Mitglieder in Gewerkschaften sind und wie gut diese organisiert sind. Ernesto Klengel findet trotzdem, dass es mehr als 75 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes durchaus mal an der Zeit wäre, sich das Streikrecht genauer anzuschauen.
00:23:04: Ernesto Klengel: Ich würde mir wünschen generell, dass das Streikrecht nicht als unerwünscht angesehen wird, sondern als demokratisches Recht, weil, wenn man sieht auch, wer an einem Streik mal teilgenommen hat, was für eine Energie das auch geben kann und was für ein Gefühl auch mitgestalten und eine Stimme zu haben das geben kann. Und das ist unverzichtbar in einer demokratischen Gesellschaft. Und deswegen, denke ich, wäre es angemessen, dass hier die restriktiven Einschränkungen, die wir hier sehen, auch fallen.
00:23:29: Katharina Alexander: Inés Haider, ihr kennt sie vom Anfang dieser Folge, sieht das ähnlich.
00:23:33: Inés Heider: Ich würde mir schon wünschen, dass Gewerkschaften sich viel aktiver einsetzen für ein politisches Streikrecht, für das Recht sozusagen auch auf einen Generalstreik.
00:23:48: Katharina Alexander: Inés findet, dass ein Generalstreik gerade angesichts der Gefahren für die Demokratie durch den Aufstieg der AfD ein wichtiges Mittel für die Zivilgesellschaft sein könnte.
00:23:57: Inés Heider: Wenn die CDU in Zukunft mehr mit der AfD zusammenarbeitet, dann werden wir uns halt auf der Straße, aber nicht nur auf der Straße, sondern auch in unseren Betrieben, in unseren Schulen und Universitäten dagegen wehren müssen.
00:24:06: *Musik*
00:24:11: Katharina Alexander: 1920 legten die Gewerkschaften ein ganzes Land lahm, um die Demokratie zu verteidigen. Heute haben Generalstreiks in Deutschland keine rechtliche Grundlage und sind innerhalb der Gewerkschaften umstritten. Die einen sagen, es ist gut, wenn wir uns um Arbeitsbedingungen kümmern und durch Kampagnen und die Teilnahme an Demonstrationen auf die Politik einwirken. Die anderen sagen, das reicht nicht und wünschen sich die Möglichkeit, auch politisch zu streiken. Wie seht ihr das? Schreibt es uns, zum Beispiel über die Kommentarfunktion auf Spotify und Apple Podcasts oder auf Instagram.
00:24:47: *Musik*
00:24:53: Das war Geschichte wird gemacht. Abonniert den Podcast, um keine Folge zu verpassen. Wenn euch der Podcast gefallen hat, freuen wir uns, wenn ihr uns eine Bewertung da lasst. Wenn ihr jetzt noch mehr Bock auf Podcasts habt, dann haben wir noch einen Tipp für euch. Maloche und Malibu, der IG Metall Podcast für gute Arbeit und ein gutes Leben. Gewerkschaft, das bedeutet nämlich harte Arbeit, aber auch großes Vergnügen. Bessere Arbeitsbedingungen fallen nicht vom Himmel und gelebte Solidarität braucht gelebte Praxis, nicht nur Theorie. Christoph und Jacqueline nehmen euch mit zu Warnstreiks, finden heraus, was hinter den Türen von Tarifverhandlungen passiert und wie es sich in Industriejobs arbeiten lässt. Zum Beispiel in 100 Metern Höhe auf einem Windrad. Hört doch mal rein. Den Podcast verlinken wir euch in den Shownotes. Geschichte wird gemacht, ist eine Produktion von Haus 1, im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Ich war heute eure Host, Katharina Alexander. Redaktion: Katharina Alexander für Haus 1 und Dieter Pugin für die Hans-Böckler-Stiftung. Produktionsleitung: Stefanie Groth. Schnitt und Sounddesign Joscha Grunewald. Tschüss!
00:26:00: *Musik*
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