Endlich bezahlbare Mieten – Als Gewerkschaften unsere Art zu Wohnen revolutionierten

Shownotes

-[Geschichte wird gemacht: „Nie wieder ist jetzt: Warum Gewerkschaften die Demokratie mit aller Kraft verteidigen“](https://www.gewerkschaftsgeschichte.de/podcast-geschichte-wird-gemacht-warum-gewerkschaften-die-demokratie-mit-aller-kraft-verteidigen-62761.htm ) -Netzwerk Leipzig: Stadt für alle -[August Ellinger: Der Mann, der das soziale Bauen erfand](https://vorwaerts.de/geschichte/august-ellinger-der-mann-der-das-soziale-bauen-erfand ) -Wohnungspolitik – ein Thema für Gewerkschaften -„Städtebau sozial und für alle“ -100 Jahre sozialer Wohnungsbau in Deutschland -Vorbildlicher, solidarischer Wohnungsbau für jedermann. 100 Jahre Gemeinnützige Heimstätten AG -Steigende Mieten und ihre politische Dimension: Sozial Schwächere in Ballungsräumen wenden sich der AfD zu -Kein Aufzug, zugemauerte Fenster - Rabiate Entmietungen -Studie: Wohnen macht immer mehr Deutsche arm -Der Skandal um die Neue Heimat
-Vonovia brockt Mietern teure Heizkosten Nachzahlung ein -Vonovia: Frust über falsche Nebenkostenabrechnungen

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00:00:00: *Protestrufe und Musik*

00:00:23: Maria Popov: Hey, ich bin Maria und ihr hört "Geschichte wird gemacht". Für viele Menschen ist ihre Wohnung, ihr Zuhause der ultimative Rückzugsort. Für mich übrigens auch. Hier kann ich sein, wie ich will und ich habe es mir über die Jahre so richtig gemütlich gemacht.

00:00:40: *Musik*

00:00:44: Maria Popov: Aber ein passendes Zuhause zu finden ist gar nicht so leicht. In Deutschland fehlen fast eine Million Sozial- und bezahlbare Wohnungen. Die Preise für eine kleine Wohnung oder ein WG-Zimmer liegen in vielen großen oder Unistädten deutlich über 600 Euro. Und selbst wenn das Geld nicht das Problem ist, Wohnraum ist oft so knapp, dass man Wochen oder sogar Monate lang suchen muss, bis man eine passende Wohnung findet. Menschen, die zum Beispiel von Rassismus betroffen sind, haben es noch schwerer. Und selbst diejenigen, die das Glück haben, zum Beispiel durch einen alten Mietvertrag noch eine überschaubare Miete zu zahlen, erleben immer wieder, wie Vermieter sie loswerden wollen.

00:01:23: Lina Hurlin: In Leipzig ist gerade die Eisenbahnstraße 97 ein Fall, wo denen das auch im Winter so ging, dass sie einfach keine Heizung hatten und irgendwie Löcher im Dach, die nicht geflickt wurden und so.

00:01:31: Maria Popov: Das ist Lina Hurlin. Sie lebt in Leipzig und engagiert sich bei "Stadt für Alle", einem Netzwerk, das sich für demokratische und soziale Stadtentwicklung einsetzt. Lina Hurlin beschäftigt sich seit 2013 intensiver mit dem Thema Wohnen.

00:01:45: Lina Hurlin: Also ich habe selbst ein Hausprojekt mit aufgebaut und bin dann aber irgendwie da weiter dran geblieben, weil ich fand, ja gut, da ist irgendwie ein Haus für so 20 eher junge Leute entstanden und das ist ja keine Lösung für das gesamtgesellschaftliche Problem, was auch zu dem Zeitpunkt tatsächlich in Leipzig noch gar nicht so krass groß war, weil da waren eben Mieten noch eher günstig. Aber es hat sich eben schon abgezeichnet, dass wenn Wohnraum eine Ware ist, das eigentlich nicht langfristig zu einer guten sozialen Lösung führt.

00:02:16: Maria Popov: Seit 2013 hat sich die durchschnittliche Netto-Kaltmiete in Leipzig verdoppelt, von etwa 5 Euro pro Quadratmeter auf über 10 Euro. Und nicht nur die Mietpreise machen den Menschen zu schaffen. Durch ihr Engagement bei "Stadt für Alle" trifft Lina Hurlin immer wieder Menschen, die von Entmietung betroffen sind.

00:02:33: Lina Hurlin: Entmietung bedeutet, wenn EigentümerInnen von Häusern die BewohnerInnen da versuchen rauszudrängen mit Methoden, die teilweise nicht rechtens sind und auch oft unmenschlich. Also sowas wie irgendwelche Baustellen faken oder das Gas abstellen, also dass man im Winter keine Heizung mehr hat und es irgendwie den Leuten so ungemütlich wie möglich zu machen.

00:02:55: Maria Popov: Der Grund? Geld.

00:02:56: Lina Hurlin: Es passiert einfach oft bei Immobilien, die in einem eher schlechten Zustand sind und mit günstigen alten Mietverträgen bewohnt sind. Und die neuen EigentümerInnen wollen das eben profitorientiert vermieten und versuchen dazu erstmal die Leute, die da schon drin wohnen, loszuwerden.

00:03:12: Maria Popov: Solche Methoden sind leider nicht nur in Leipzig gängige Praxis. Auch in Hamburg, Berlin oder Köln berichten Mietervereine von Sanierungen, die absichtlich in die Länge gezogen werden. Von Baugerüsten, die unnötig lange vor den Häusern stehen oder Wasser und Strom, die abgestellt werden.

00:03:27: Lina Hurlin: Ich finde vor allen Dingen die Geschichten immer krass, die auch wirklich auf so einer sehr emotionalen Ebene stattfinden. Also wenn dann so Sachen passieren wie, es ist irgendwie eine WG mit einzelnen Mietverträgen und der Eigentümer lässt einfach in die leeren Zimmer Leute einziehen, die die Aufgabe haben, den Leuten das Leben so ungemütlich wie möglich zu machen. Und natürlich also diese ganzen Sachen von im Winter keine Heizung haben und die einfach abzustellen, das ist einfach, also da sind auf jeden Fall die Grenzen deutlich überschritten. Und das sind leider keine Einzelfälle.

00:04:00: Maria Popov: Im Winter keine Heizung, durch das Dach tropft es rein und der Vermieter kümmert sich nicht. Das geht natürlich gar nicht. Leider wird unser Grundrecht auf Wohnen immer wieder angegriffen. Dabei wusste man schon vor über 100 Jahren, dass es ohne gute Wohnverhältnisse keine gesunde Gesellschaft geben kann.

00:04:17: *Musik*

00:04:20: Maria Popov: Im August 1919, nicht mal ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, bekommt die Weimarer Republik eine Verfassung. Und in dieser Verfassung steht nicht nur, dass das Deutsche Reich ab jetzt eine Republik ist, in der alle Macht vom Volke ausgeht, es heißt dort auch, dass jedem Deutschen eine gesunde Wohnung zugesichert werden soll. Denn die Wohnsituation vieler Menschen war damals richtig mies. Durch die Industrialisierung ziehen im 19. Jahrhundert viele Menschen in die Stadt und beginnen dort, in Fabriken zu arbeiten. Gerade in großen Städten wie Berlin wächst die Bevölkerung in kurzer Zeit krass an. Zwischen 1840 und 1900 versechsfacht sie sich von knapp 300.000 auf über 1,7 Millionen Menschen. Und diese Menschen müssen irgendwo untergebracht werden.

00:05:08: Steffen Adam: Wir haben natürlich auf der einen Seite die berühmten Mietskasernen. Gut, das Vorderhaus ist noch immer was besonderes, im Hinterhaus wird dann die soziale Lage immer schwieriger.

00:05:17: Maria Popov: Das ist Steffen Adam, Architekt aus Berlin und Bauhistoriker. Um all die ArbeiterInnen unterzubringen, werden damals möglichst schnell möglichst viele Wohnungen gebaut. Die Wohnungen sind klein, ein bis zwei Zimmer, in denen Familien zu viert oder fünft leben. Es ist dunkel und schmutzig, fließendes Wasser oder ein Badezimmer gibt es nicht. Besonders die Kellerwohnungen sind feucht, die Wände verschimmelt und Ungeziefer breitet sich aus. In den 1860ern fordert darum ein Berliner Stadtbaurat.

00:05:47: O-Ton Stadtbaurat: Fort mit den Kellerwohnungen, die gut sind für Fässer und Kartoffeln und Gemüse, aber nicht für Menschen.

00:05:56: Maria Popov: Aber es dauert noch über 60 Jahre, bis sich die Wohnsituation der ArbeiterInnen langsam verbessert. Eine Person, die dafür einen wichtigen Anstoß gegeben hat, war Albert Kohn. Er ist der damalige Chef der Krankenkasse AOK.

00:06:08: Steffen Adam: Diese AOK hat kurz vor der Jahrhundertwende von ihrem Chef Albert Kohn zusammen mit den armen Ärzten von Berlin eine sogenannte Wohnungsenquete ins Leben gerufen.

00:06:20: Maria Popov: Das bedeutet so viel wie Untersuchung oder Studie.

00:06:23: Steffen Adam: Erst haben sie die Leute nur so befragt und dann haben die Ärzte gesagt, nein, wir machen das jetzt wissenschaftlich nachvollziehbar korrekt mit einem dollen Fragebogen. Und der Geniestreich von Herrn Kohn war dann, und ich gebe euch einen Fotografen mit.

00:06:37: Maria Popov: Albert Kohn hat nämlich ein großes Interesse daran, dass weniger Menschen krank werden. Kranke Menschen sind schließlich teuer für Krankenkassen. Also überlegt er sich, wenn ich nachweisen kann, dass die Wohnungen die Menschen krank machen, dann muss der Staat handeln. Und diese Enquete, die zeigt deutlich, Leute, so geht es nicht weiter.

00:06:55: Steffen Adam: Die war so erfolgreich, die ist dann in anderen deutschen Großstädten nachgeahmt worden, auch mit den dollsten Bildern und er brachte den Leuten so richtig ins Bewusstsein, wie das Gros der Bevölkerung lebt. Und Kohn sagte damals einfach, ein Drittel von unseren Leuten wird krank, weil gerade was im Umlauf ist, ein Drittel wird krank wegen der Arbeit und ein Drittel wird krank wegen der Wohnungen. Und er erklärte den Wohnungsbau, den gesunden Wohnungsbau als präventive Medizin.

00:07:29: *Musik*

00:07:32: Maria Popov: Und diese Botschaft, ihr habt es eben schon gehört, findet sich auch in der Verfassung der Weimarer Republik wieder. Jemand, der diese Idee mit vorantreiben will, ist August Ellinger.

00:07:41: Steffen Adam: Also August Ellinger kommt aus der Arbeiterschaft. Er ist Maurer und ist dann aber während des Krieges nach Hamburg gegangen und hat dort in der Gewerkschaftszentrale, diese Gewerkschaft hieß Deutscher Bauarbeiterverband, wurde er dann Schriftleiter der Gewerkschaftszeitung.

00:08:00: Maria Popov: Als der Erste Weltkrieg endet, herrscht Wohnungsnot in deutschen Städten. Alleine in Berlin fehlt es an 130.000 Wohnungen. Aber August Ellinger hat eine Idee. Warum sollen die Gewerkschaften den Wohnungsbau nicht selbst in die Hand nehmen?

00:08:13: Steffen Adam: Das kam mehr oder minder im Nachgang des verlorenen Ersten Weltkrieges. Dass also etliche Betriebe, dass da die Betriebsbesitzer einfach von Bord gingen und den Betrieb erstmal so liegen ließen. Sodass die Gewerkschaften sagten, wenn wir das gut organisieren, dann könnten ja die Arbeiter diese Betriebe selbst übernehmen und führen.

00:08:42: Maria Popov: Die ArbeiterInnen müssten dann nur noch ihren Lohn erwirtschaften und ein bisschen Plus, um die Betriebe instand zu halten und zu verwalten.

00:08:49: Steffen Adam: Aber sie bräuchten den großen Batzen, den Gewinn der gewinnorientierten Privatwirtschaft, den bräuchten sie ja nicht zu erwirtschaften. Und weil ihnen der Betrieb gehört, so dachte Ellinger und dachten eben auch viele Gewerkschafter, sind diese Arbeiter auch viel mehr mit Herzblut bei der Sache.

00:09:07: Maria Popov: Und so entsteht die Bauhüttenbewegung. Ellinger glaubt an die Idee und reist durch Deutschland, um sie zu promoten.

00:09:14: Steffen Adam: Das Wichtigste, was ihm aber in dieser Zeit, wir sprechen hier wirklich von 1918-19, ist, dass er Martin Wagner kennenlernte. Martin Wagner war damals Baustadtrat von Schöneberg. Das ist heute ein Bezirk von Berlin, damals war es eine eigene Stadt. Und beide trafen sich und hatten dieselbe Intuition, dieselben Ziele. Und sie ergänzten sich unglaublich.

00:09:40: Maria Popov: Die beiden Männer freunden sich an und setzen gemeinsam alles daran, durch die Bauhütten mehr bezahlbare und vor allem hygienische, gesunde Wohnungen für Arbeiterfamilien zu schaffen. Ellinger schreibt in dieser Zeit ein Buch mit dem Titel "Zehn Jahre Bauhüttenbewegung" und sucht gemeinsam mit Wagner auch GesprächspartnerInnen im Ausland. Das ist so kurz nach dem Ersten Weltkrieg alles andere als selbstverständlich.

00:10:03: Steffen Adam: Wir sind gewohnt, dass also 1919 Europa und Deutschland spinnefeind waren. Das mag auf der politischen Bühne auch so gewesen sein. Ellinger und Wagner fahren aber nach Frankreich, nach England und treffen sich dort mit anderen Gewerkschaftern und sofort ist ein Austausch da. Es ist sofort eine Verständigung da. Und die Arbeiterschaft unter sich macht sofort wirklich ihren wirklichen Frieden. Und das finde ich unglaublich bemerkenswert.

00:10:32: Maria Popov: Und während August Ellinger und Martin Wagner ihre Idee europaweit vorantreiben, wird in Deutschland auch endlich gebaut.

00:10:39: Steffen Adam: 1919 werden also die ersten sozialen Baubetriebe, genannt Bauhütten, gegründet und fangen an, je nach Betriebsgröße, das geht von kleinen Siedlungshäuschen, Kleinstwohnungsbau, aber auch große, je nachdem wie groß die Firma war, große Projekte.

00:10:58: Maria Popov: Während sich die ArbeiterInnen über bessere Wohnungen freuen, ist eine Gruppe gar kein Fan der Bauhütten. Die privaten Wohnungsbaugesellschaften.

00:11:05: Steffen Adam: Und die Privatwirtschaft kommt auf ein ganz einfaches Mittel. Sie sagt der Baustoffindustrie, Leute, diese Linken, die brauchen keinen Ziegelstein, kein Stück Holz, ihr verkauft denen einfach nichts. Was machen die Baubetriebe, beziehungsweise was macht August Ellinger und Martin Wagner? Die gehen natürlich sofort an den ADGB ran und sagen, Leute, ihr müsst uns jetzt als zweites Standbein auch die Baustoffe zur Verfügung stellen. Kauft bitte Ziegeleien, Kalk-Sandstein-Fabriken, kauft Wälder, kauft Sägewerke, damit wir produzieren können, damit wir arbeiten können.

00:11:45: Maria Popov: Und so entsteht ein zweites Standbein der Bauhütten. Jetzt gehören nicht nur die Baubetriebe den Gewerkschaften, sondern auch die Unternehmen, die die Baustoffe produzieren. Die Bewegung wird damals finanziell vom ADGB, das ist der Vorläufer des heutigen Deutschen Gewerkschaftsbundes, von weiteren Gewerkschaften und auch der AOK unterstützt.

00:12:04: *Musik*

00:12:07: 1924 entstehen dann zwei Unternehmen, die Ellingers Vision von bezahlbarem, guten Wohnraum für alle deutschlandweit ausweiten sollen. Die Deutsche Wohnungsfürsorge-Aktiengesellschaft, kurz DEWOG, und die gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bauaktiengesellschaft, kurz GEHAG. Im Kern sind die Ziele dieser beiden Gesellschaften auch ziemlich nah beieinander. Die DEWOG wird von verschiedenen Gewerkschaften und der Bank der Arbeiter gegründet. Ihr Ziel ist es, durch gemeinnützige Betriebe aktiv dazu beizutragen, dass das Wirtschaftssystem demokratischer wird. Auf einem ADGB-Kongress hofft man sogar darauf, dadurch zur praktischen Durchführung des Sozialismus beizutragen. In der GEHAG schließt sich ein breiteres Bündnis zusammen. Hier sind auch die Gewerkschaften dabei, aber auch die AOK, verschiedene Wohnungsgenossenschaften und die Einkaufsgenossenschaft Konsum.

00:13:02: Steffen Adam: Und jetzt stellt man sich vor, wie viele Wählerstimmen stehen dahinter? Praktisch kein Politiker konnte mehr daran vorbeigehen. Aber auch keine Administration, kein Bauamt konnte an einer solchen breiten Front, konnten die einfach nicht mehr vorbeigehen.

00:13:21: Maria Popov: Kurz darauf wird Martin Wagner auch noch Baustadtrat von Groß-Berlin. Damit hat die GEHAG jetzt auch noch einen direkten Draht in die Politik. Viele der Bauprojekte, die damals umgesetzt werden, sind heute Weltkulturerbe.

00:13:34: Steffen Adam: Das lag natürlich auch daran, dass Martin Wagner einen alten Freund reaktivierte, nämlich Bruno Taut. Und Bruno Taut ist wirklich der große Meister nicht nur des farbigen Bauens, sondern des solidarischen Wohnungsbaus.

00:13:50: Maria Popov: Bruno Taut ist einer der bekanntesten deutschen Architekten. Seine Idee davon, was eine gute Wohnung ausmacht, fasst er unter Licht, Luft und Sonne für alle zusammen. Die bunten Wohnblöcke, die er entwarf, gelten bis heute als Vorbilder für den sozialen Wohnungsbau.

00:14:06: Steffen Adam: Taut sagt nun, das Allerwichtigste einer Wohnung ist der wirkliche Wohnraum. Also Wohnzimmer, Schlafzimmer, da wo Leute wirklich wohnen und dieser muss maximiert werden. Minimiert soll bitte die Verkehrsfläche werden, der Flur. Trotzdem muss dieser Flur so gestaltet sein, dass er alle Räume erschließt. Und dann habe ich auf jeden Fall Küche und Bad. Für Bruno Taut war es ganz essentiell bei den eigentlich kleinen Wohnungen, dass jede Wohnung immer über einen Balkon, eine Loggia oder eine Terrasse verfügen sollte. Weil wenn Sie einen solchen Freiraum, und Taut spricht dort vom Außenwohnraum, haben, dann haben Sie alles, was Sie sehen, gehört Ihnen sozusagen gefühlt mit zur Wohnung und macht Sie größer.

00:15:02: Maria Popov: Es läuft also gut für August Ellinger und Martin Wagner. Ihre Idee von einem sozialen, solidarischen Wohnungsbau wird Realität. In ganz Deutschland entstehen Bauprojekte von DEWOG und GEHAG. In Europa und sogar in den USA werden die beiden für ihr Wissen und ihre Innovation gefeiert. Aber dann ändert sich das politische Klima in Deutschland.

00:15:26: *düstere Musik*

00:15:31: Maria Popov: 1933 ergreifen die Nazis die Macht und zerschlagen die Gewerkschaften. Sie enteignen Gewerkschaftshäuser, verhaften und foltern Mitglieder. Darüber haben wir in einer früheren Folge ausführlich gesprochen. Den Link dazu findet ihr in den Shownotes.

00:15:46: Steffen Adam: Martin Wagner hat die Chance zu emigrieren, geht in die USA.

00:15:52: Maria Popov: August Ellinger bleibt zurück in Berlin. Im Juni 1933 nimmt er sich das Leben. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrscht eine große Wohnungsnot in Deutschland. Viele Häuser sind durch den Krieg zerstört.

00:16:11: Steffen Adam: Dazu kommen Kriegsheimkehrer, die nicht mehr familienkompatibel sind, die eine Einzelwohnung brauchen. Und dann haben wir diese ganzen Flüchtlinge. Ja, die müssen ja auch untergebracht werden.

00:16:23: Maria Popov: In dieser Zeit entwickelt sich die Neue Heimat, ein gemeinnütziges Wohnungs- und Bauunternehmen, das den DGB und seinen Gewerkschaften gehört. Eigentlich gab es das Unternehmen schon seit den 20ern, damals unter einem anderen Namen. Nach der Zerschlagung der Gewerkschaften wurden deren Wohnungsbestände von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront übernommen.

00:16:43: Steffen Adam: Nach 1950 erfolgt praktisch eine Neugründung als Neue Heimat vom DGB und befreundeten Gewerkschaften, die da alle mit einsteigen. Und das wird zunächst mal eine unglaubliche Erfolgsgeschichte.

00:16:59: Maria Popov: Denn die Neue Heimat baut in ganz Deutschland Wohnungen und vermietet sie zu fairen Preisen. In den 70ern leben über 1,5 Millionen Menschen in Wohnungen der Neuen Heimat. Aber dann fängt die Erfolgsgeschichte des Unternehmens an zu bröckeln.

00:17:14: Steffen Adam: Bauen hat nun mal viel mit Geld zu tun und Geld macht natürlich auch angreifbar.

00:17:18: Maria Popov: Und das wird der Neuen Heimat zum Verhängnis. 1983 wird öffentlich, dass sich einige ihrer Manager persönlich bereicherten. Und das nicht nur zulasten der Gemeinwohl-Idee, sondern auch der MieterInnen. In den nächsten Jahren sollten weitere Skandale und Fehlentscheidungen folgen. 1998 wurde das Unternehmen schließlich aufgelöst.

00:17:42: Steffen Adam: Jetzt hätte man ja sagen können, naja gut, der DGB trennt sich also von der Neuen Heimat, aber sie trennten sich eben nicht nur von der Neuen Heimat, sondern sie gaben das Fanal aus, die Gewerkschaften trennen sich jetzt generell von ihren Geschäften.

00:17:59: Maria Popov: So kommt es, dass die GEHAG, einst ein europaweit gefeiertes Projekt und ein riesiger Schritt für den sozialen Wohnungsbau, zur deutschen Wohnen bzw. seit der Übernahme 2021 zur Vonovia gehört. Vonovia steht immer wieder in der öffentlichen Kritik. Zum Beispiel wegen unverhältnismäßigen Nebenkostenabrechnungen, wie unter anderem der Tagesspiegel, MDR Investigativ und der BR berichteten. Bis heute ist die Frage nach eigenen Wohnungen in den Gewerkschaften ein sensibles Thema. Steffen Adam findet, das müsste nicht sein.

00:18:34: Steffen Adam: Ich empfinde es eben tatsächlich so, dass die Gewerkschaften wirklich mehr sind als eine Organisation, die jetzt einen Arbeitskampf macht. Das ist natürlich eines der wesentlichen Kerngeschäfte, aber wie gesagt, wir haben jetzt nicht mehr den Fabrikarbeiter, völlig klar. Wir haben jetzt vornehmlich den Angestellten. Aber eben auch für den und dessen Wohlergehen, finde ich, sind auch die Gewerkschaften, sollten sie einfach sagen, natürlich machen wir das mit. Das ist ja völlig klar, dass wir für unsere Genossen oder Genossinnen eintreten. Das sollte sich eine Gewerkschaft einfach gönnen.

00:19:13: *Musik*

00:19:16: Maria Popov: 1919 war eine gesunde Wohnung Teil der Weimarer Verfassung. Und auch heute steht das Grundrecht auf Wohnen in der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte und im UN-Sozialpakt. Gleichzeitig geben viele Menschen in Deutschland deutlich mehr als ein Drittel ihres Einkommens für ihre Miete aus. Laut einer Auswertung des Statistischen Bundesamtes hat jede fünfte Person in Deutschland, nach Ausgaben für Miete, Nebenkosten und Zinsen, nur noch ein Einkommen zur Verfügung, das unter der Armutsgrenze liegt. Oder kurz gesagt, Wohnen macht arm. Welche Ideen hat die neue Bundesregierung aus Union und SPD, um diese Situation für MieterInnen zu verbessern? Darüber haben wir mit Jonathan Dieselhorst gesprochen. Er ist beim Bundesvorstand der IG Bau für Wirtschafts- und Sozialpolitik zuständig.

00:20:06: Jonathan Dieselhorst: Also ich muss vorweg dazu sagen, ich hatte keine wahnsinnig hohen Erwartungen, nachdem schon die letzte Bundesregierung jetzt nicht so die Knallerbilanz beim Wohnen und beim Wohnungsbau abgeliefert hat.

00:20:16: Maria Popov: Die Ampelregierung hatte eigentlich versprochen:

00:20:18: O-Ton: Wir werden das Bauen und Wohnen der Zukunft bezahlbar, klimaneutral, nachhaltig, barrierearm, innovativ und mit lebendigen öffentlichen Räumen gestalten.

00:20:30: Maria Popov: Dafür wollten sie zum Beispiel pro Jahr 400.000 neue Wohnungen bauen. Ein Viertel davon sollten Sozialwohnungen sein. Diese Ziele wurden weit verfehlt. Statt der geplanten 100.000 neuen Sozialwohnungen pro Jahr wurden es nur 25.000. Ihr merkt also, auch wenn im Koalitionsvertrag hohe Ziele gesteckt werden, heißt das leider noch nicht, dass sie auch umgesetzt werden. Trotzdem ist er natürlich ein wichtiges Werkzeug, um überhaupt erstmal zu checken, was ist dieser Regierung wichtig und welche Ziele setzt sie sich? Darum hat Jonathan Dieselhorst für uns mal zusammengefasst, worauf sich Union und SPD in ihrem neuen Koalitionsvertrag festgelegt haben.

00:21:10: Jonathan Dieselhorst: Beim Thema Wohnungsbau haben wir ein vages Commitment, weiter sozialen Wohnungsbau zu machen. Es ist aber unklar, in welcher Größenordnung das am Ende konkret passieren soll. Andere Dinge, wie der angekündigte sogenannte Wohnungsbauturbo, sind aus meiner Sicht fragwürdig, beziehungsweise werden vielleicht am Ende auch gar nicht so viel bringen.

00:21:28: Maria Popov: Neue Wohnungen zu bauen, ist zeitaufwendig und teuer. Wer also heute dringend eine bezahlbare Wohnung sucht, hat davon nicht viel.

00:21:35: Jonathan Dieselhorst: Da erhoffe ich mir in den nächsten Jahren vielleicht kleinere Fortschritte, aber insgesamt nicht so wahnsinnig viel, eben auch weil das ganze Thema öffentliche Förderung, insbesondere sozialer Wohnungsbau, der muss eben subventioniert werden, weil das, was an den sogenannten Marktmieten rauskommt, wenn gebaut wird, können sich eben Haushalte mit wenig Einkommen gar nicht leisten.

00:21:57: Maria Popov: Nur mit Neubauten lassen sich die Probleme also nicht lösen. Und was plant die neue Bundesregierung im Bereich Mietrecht?

00:22:04: Jonathan Dieselhorst: Da soll unter anderem die Mietpreisbremse verlängert werden um vier Jahre. Es soll auch ein Paragraf verlängert werden, der in angespannten Wohnungsmärkten die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen verhindert oder sozusagen erschwert. Das sind beides Dinge, die wir Gewerkschaften grundsätzlich positiv bewerten. Es soll auch eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden, die sich nochmal mit dem Thema Mietwucher befassen soll, prüfen soll, ob man vielleicht sogar die Mietpreisbremse irgendwie noch so weiterentwickeln kann, dass vermietende Bußgelder zahlen müssen, wenn sie Mieten überhöhen.

00:22:35: Maria Popov: Aber trotz einiger guter Ideen im Koalitionsvertrag ist Jonathan Dieselhorst nicht gerade optimistisch.

00:22:41: Jonathan Dieselhorst: Das Problem ist immer, wenn in einem Koalitionsvertrag drinsteht, wir wollen eine Arbeitsgruppe einsetzen, dann heißt das, dass man sich im Kern eigentlich nicht einig ist, ob man das wirklich will. Das heißt, es kann sein, dass da neue Erkenntnisse und gute Vorschläge dabei rauskommen, aber ich fürchte, die Wahrscheinlichkeit ist recht hoch, dass sie nicht umgesetzt werden am Ende.

00:22:56: Maria Popov: Dass SPD und CDU das Thema Wohnen nicht gerade ambitioniert angehen, hat nicht nur Nachteile für MieterInnen, es schadet auch der Demokratie.

00:23:05: Jonathan Dieselhorst: Ich glaube, es ist ein Problem, weil einfach die Lebensrealität von ganz vielen Menschen damit nicht zur Kenntnis genommen wird und auch die Unsicherheit, in der Leute leben müssen. Oder die Tatsache, dass halt Veränderungen oder irgendwie auch eine Lebensplanung oder eine Familienplanung einfach durch die Wohnungsmarktsituation immer schwieriger möglich wird. Und ich glaube, dass das ja tatsächlich schwierig ist, weil es auch das Gefühl von Abgehängtsein bei vielen Menschen verstärkt.

00:23:34: Maria Popov: Es gibt erste Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen mit geringem Einkommen in Gebieten, in denen die Mieten steigen, eher die AfD unterstützen.

00:23:43: Jonathan Dieselhorst: Die Gründe sind sicherlich komplex, aber ich glaube, dass zu einer Bekämpfung des Rechtsextremismus auch dazu gehört, sich tatsächlich um solche sozialen Verwerfungen zu kümmern.

00:23:51: Maria Popov: Jonathan Dieselhorst und die IG Bau haben darum sehr konkrete politische Ideen, was man gegen die Wohnungsnot machen kann.

00:23:59: Jonathan Dieselhorst: Wir haben zuvor das gefordert, dass für den sozialen Wohnungsbau wieder mehr Geld zur Verfügung gestellt wird. Das ist ja das Thema, dass wir seit Jahren insgesamt immer weniger Sozialwohnungen haben, weil die Bindung dieser Sozialwohnungen befristet sind und in der Regel nach 20 oder 30 Jahren auslaufen.

00:24:14: Maria Popov: Nach dieser Zeit dürfen Sozialwohnungen dann deutlich teurer vermietet werden.

00:24:18: Jonathan Dieselhorst: Wir fordern darüber hinaus, dass man sozusagen auch jenseits des sozialen Wohnungsbaus für, ich sage mal, mittlere Einkommensgruppen mehr Wohnraum schafft und das auch öffentlich fördert. Und wir fordern auch eben, dass man sich um die Problematik steigender Bodenpreise kümmert. Das heißt, dass zum Beispiel öffentliche Grundstücke, die dafür geeignet sind, für den Wohnungsbau vergünstigt zur Verfügung gestellt werden. Aber eben auch unter der Auflage, dass Sozialwohnungen, dass bezahlbare Wohnungen daraus entstehen und zwar dauerhaft.

00:24:46: Maria Popov: Wir wollten zum Schluss noch von Jonathan Dieselhorst wissen, ob er glaubt, dass Gewerkschaften, wie in der Vergangenheit auch, selbst im Wohnungsbau aktiv werden könnten.

00:24:56: Jonathan Dieselhorst: Im Moment gibt es von Seiten der Gewerkschaften keinerlei Bestrebungen, jedenfalls keine, die mir bekannt sind, selbst wieder in den Wohnungsbau einzusteigen. Das hat auch ein bisschen was damit zu tun, dass die DGB-Gewerkschaften nicht mehr ganz so groß sind heute, wie sie es früher mal waren und auch vor anderen Herausforderungen stehen.

00:25:14: Maria Popov: Auch Lina Hurlin von "Stadt für Alle" aus Leipzig hat einige Ideen, was sich politisch ändern müsste, damit Wohnen ein Grundrecht für alle bleibt.

00:25:23: Lina Hurlin: Zum Beispiel können das eben diese sozialen Haltungssatzungen sein, die EigentümerInnen nicht erlauben, einfach wahllos so Luxussanierungen durchzuführen. Dann gibt es auch diese Zweckentfremdungsverbotsverordnung, die auch dafür sorgt, dass zum Beispiel nicht diese ganzen Airbnb-Wohnungen den Menschen in den eigentlichen Wohnraum wegnehmen.

00:25:41: Maria Popov: Außerdem fordert Lina Hurlin, dass Menschen, die versuchen, andere Wege zu gehen, zum Beispiel indem sie Hausprojekte gründen, besser von den Kommunen unterstützt werden.

00:25:51: *Musik*

00:25:54: Maria Popov: Vor etwa 100 Jahren revolutionierten August Ellinger und Martin Wagner gemeinsam mit den Gewerkschaften den Wohnungsmarkt. Sie haben die grundsätzlichen Ideen davon, was eine gute, also eine gesunde Wohnung ausmacht, mitgeprägt. Viele der Gebäude, an deren Bau sie zum Beispiel mit der GEHAG beteiligt waren, sind heute Teil des Weltkulturerbes und noch immer das Zuhause von Menschen. Aber die Kapitalisierung des Wohnungsmarktes hat dazu geführt, dass diese Wohnungen, die ehemals für sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau standen, heute von Unternehmen verwaltet werden, die ihre Profitmaximierung auf dem Rücken von MieterInnen austragen. Es gibt Menschen, die versuchen, gegen diese Situation anzukämpfen, wie zum Beispiel Lina Hurlin bei "Stadt für Alle". Denn das Wohnen bezahlbar bleibt, dass unsere Wohnungen uns nicht krank machen, ist kein Luxus, sondern ein Menschenrecht.

00:26:48: *Musik*

00:26:52: Maria Popov: Das war "Geschichte wird gemacht". Abonniert den Podcast, um keine Folge zu verpassen. Wenn euch der Podcast gefällt, freuen wir uns sehr, wenn ihr uns eine Bewertung da lasst. "Geschichte wird gemacht" ist eine Produktion von hauseins im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Ich bin eure Host, Maria Popov. Redaktion: Katharina Alexander für hauseins und Dieter Purgin für die Hans-Böckler-Stiftung. Produktionsleitung: Stefanie Groth. Schnitt- und Sounddesign: Joscha Grunewald. Tschüssi und bis zum nächsten Mal.

00:27:20: *Musik*

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