Hans Böckler: Ein Leben für Demokratie und Mitbestimmung

Shownotes

Am 26. Februar 2025 wäre Hans Böckler 150 Jahre alt geworden. Wer war der Mann, in dessen Namen Menschen sich bis heute für mehr Mitbestimmung und Gerechtigkeit engagieren?

Um das herauszufinden, schauen wir mit dem Historiker Karl Lauschke zurück. Wir begleiten Hans Böckler durch seine schwere Kindheit und seinen Aufstieg innerhalb der Gewerkschaften, hören von Rückschlägen und seinen großen Erfolgen in den 50er Jahren.

Außerdem sprechen wir mit Madita, einer der Stipendiatinnen der Hans-Böckler-Stiftung. Durch das Stipendium hatte sie die Möglichkeit, mit Ende 20 ein Studium anzufangen und war mehrmals im Ausland. Außerdem erklärt Claudia Bogedan, Geschäftsführerin der Stiftung davon, inwiefern das Erbe Hans Böcklers bis heute weiterlebt.

„Geschichte wird gemacht” ist eine Produktion von Hauseins im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung.

Host: Maria Popov
Redaktion: Katharina Alexander für Hauseins und Dieter Pougin für die Hans-Böckler-Stiftung
Produktionsleitung: Stefanie Groth Schnitt und Sounddesign: Joscha Grunewald

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Transkript anzeigen

00:00:00: 0 *Protestrufe und Musik*

00:00:23: 8 Maria Popov: Hallo, ich bin Maria Popov und ihr hört „Geschichte wird gemacht“. Heute, am 26. Februar, also an dem Tag, an dem diese Folge hier erscheint, wäre Hans Böckler 150 Jahre alt geworden. Wenn ihr unsere letzten Folgen gehört habt, dann kennt ihr diesen Namen auf jeden Fall. Vielleicht wohnt ihr auch in einer der über 30 Städte, in denen es eine Hans-Böckler-Straße oder -Allee gibt. Oder ihr habt schon mal von der Hans-Böckler-Stiftung gehört, für die wir diesen Podcast produzieren. Heute wollen wir uns genauer anschauen, wer Hans Böckler eigentlich war, was ihn und sein Leben ausgemacht hat und inwiefern seine Ideen bis heute wichtig sind. Dafür fangen wir aber nicht bei Hans an, sondern bei Madita. Madita ist 30 Jahre alt und wohnt in Berlin. Dort studiert sie Wirtschaftspädagogik und Politikwissenschaften. Vorher hat sie eine Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau gemacht. Auf Studieren hatte sie nach der Schule nämlich erst mal so gar keine Lust. Aber während der Pandemie wurde es dann immer schwieriger, für sie Geld zu verdienen. Und darum hat sich Madita mit Mitte 20 entschieden, doch noch zur Uni zu gehen.

00:01:35: 2 Madita: Dadurch, dass ich eben schon auf Vollzeit gearbeitet habe vor meinem Studium, war das für mich dann auch noch mal so ein Bruch, sage ich mal, oder eine große Entscheidung zu sagen, ich gehe jetzt noch mal in ein Studium rein. Und dadurch, dass ich das Glück hatte, eben zu wissen, dass es ein Stipendium gibt bei der Hans-Böckler-Stiftung oder auch anderen Stiftungen für engagierte junge Menschen, war für mich immer klar, dass ich mich da auf jeden Fall bewerben werde, einfach um dann doch so ein bisschen diese große Entscheidung von Beruf dann noch mal zum Studium mir so ein bisschen zu erleichtern. Und war dann auch sehr froh, als es dann wirklich geklappt hat.

00:02:12: 4 Maria Popov: Inzwischen gibt Madita ihr Wissen an andere Studis weiter. Sie engagiert sich in der Fachschaftsinitiative ihres Studienganges, weil sie so mitbestimmen kann, wie ihr Studium abläuft.

00:02:22: 2 Madita: Jetzt gerade machen wir tatsächlich komplett die Neuakkreditierung unseres Studiengangs. Da ist es super wichtig, dass wir uns auch einsetzen für Veränderungen in unserem Studiengang, weil dann doch hier und da es immer wieder an verschiedenen Stellen hakt. Und da setze ich mich dann eben für die Studierenden ein.

00:02:41: 5 Maria Popov: Durch ihr Engagement an der Uni kommt Madita auch immer wieder mit anderen Studis in Kontakt, die überlegen, sich für ein Stipendium zu bewerben. Viele trauen sich aber nicht und haben das Gefühl, eh keine Chance zu haben.

00:02:53: 0 Madita: Ich würde auch die Menschen ermutigen, die eben vielleicht nicht über den klassischen Weg gekommen sind, weil ich habe selber kein Abitur gemacht. Ich bin über einen dritten Bildungsweg quasi erst an die Uni gekommen. Also ich habe ja mit Ausbildung beruflicher Weiterqualifizierung erst meine allgemeine Hochschulreife erreicht und durfte dann an die Uni gehen. Und hatte vielleicht auch gar nicht immer die besten Noten und trotzdem habe ich es eben geschafft und bin irgendwie erfolgreich im Leben und eben aber auch jetzt glückliche Stipendiatin. Und gerade da den Leuten den Mut zu machen und zu sagen, hier bewerbt euch mal, versucht es.

00:03:31: 5 Maria Popov: Seit inzwischen zwei Semestern bekommt Madita über ihr Stipendium den BAföG-Höchstsatz ausgezahlt. Zusätzlich gibt es noch 300 Euro Büchergeld obendrauf.

00:03:40: 7 Madita: Das sind 1234 Euro. Genau, also schon echt ein ganz guter Verdienst, sage ich mal.

00:03:46: 8 Maria Popov: Durch das Stipendium kann sich Madita viel besser auf ihr Studium konzentrieren und muss nicht mehr so viel nebenher arbeiten.

00:03:53: 5 Madita: Das hat, ich würde sagen, in vielen Dingen mein Leben bereichert, weil zum einen wirklich diese Sicherheit, frei von Existenzängsten zu leben, das ist wirklich ein großer Faktor natürlich. Dieses finanzielle, aber die ideelle Förderung ist sehr facettenreich bei der Hans-Böckler-Stiftung.

00:04:10: 4 Maria Popov: Neben dem Geld gibt es nämlich jede Menge Workshops und Veranstaltungen, an denen die StipendiatInnen teilnehmen können.

00:04:16: 8 Madita: Ein großes Highlight war jetzt auch im Sommer tatsächlich die Sprachakademie in Spanien. Ich hatte das Glück, dort teilnehmen zu dürfen. Und das ist tatsächlich ein vier Wochen Sprachkurs, der komplett finanziert wird.

00:04:30: 5 Maria Popov: Generell ist Madita durch das Stipendium schon viel rumgekommen.

00:04:34: 0 Madita: Ich habe schon auch ein Auslandspraktikum gemacht in Chile. Das wurde mir zum Glück auch über das Stipendium finanziert. Ich plane jetzt im Februar nächstes Jahr, gehe ich nach Buenos Aires auch noch mal zum Praktikum an der Berufsschule.

00:04:46: 8 Maria Popov: Sich für etwas einsetzen, auch wenn die Startbedingungen nicht die besten sind. Das klingt nach etwas, was Hans-Böckler gefallen hätte. Also starten wir mal rein in das Leben dieses Mannes, in dessen Namen bis heute soziales, gesellschaftliches und gewerkschaftliches Engagement gefördert wird.

00:05:04: 3 *Musik*

00:05:10: 5 Maria Popov: Am 26. Februar 1875 wird Hans-Böckler in Bayern geboren. Sein voller Name ist Johann Georg Böckler, aber schnell setzt sich der Spitzname Hans durch. Deutschland ist damals noch ein Kaiserreich und wird von Wilhelm I. regiert. Und die Umstände, in denen Hans-Böckler zur Welt kommt, sind nicht gerade rosig.

00:05:30: 5 Karl Lauschke: Man muss auch bedenken, im Grunde genommen war der Hans-Böckler unehelich.

00:05:34: 9 Maria Popov: Das ist Karl Lauschke. Er ist Historiker und forscht zur Geschichte der Gewerkschaften.

00:05:39: 5 Karl Lauschke: Der Vater war nachher Fuhrmann in Fürth, in der Behörde tätig auch. Da erst zu dem Zeitpunkt war es dem Vater von Hans-Böckler möglich, die Bürgerrechte zu bekommen, der Stadt Fürth, und gleichzeitig damit auch die Erlaubnis zu heiraten. Und die Kinder waren schon geboren und die Heirat wurde dann im Grunde genommen nachvollzogen.

00:05:59: 6 Maria Popov: Denn damals gibt es keine Bürgerrechte für alle. Nur wer genug Geld verdient, um sich selbst zu versorgen, bekommt einen Bürgerstatus.

00:06:07: 6 Karl Lauschke: Die Leute, die kein Bürgerrecht hatten, durften auch nicht wählen. Und vor allen Dingen, sie durften natürlich auch nicht die Leistungen der Gemeinde in Anspruch nehmen. Also beispielsweise soziale Unterstützungsleistungen im Notfall. Die konnten sie nicht in Anspruch nehmen. Die waren dann wiederum angewiesen, beispielsweise auf kirchliche Einrichtungen. Oder aber nachher haben auch gerade die Gewerkschaften versucht, entsprechende soziale Unterstützungsleistungen zu geben.

00:06:31: 7 Maria Popov: Hans-Böckler wächst also eher in ärmlichen Verhältnissen auf. Als er 13 Jahre alt ist, stirbt sein Vater. Hans bricht dann die Schule ab und ist ab da gemeinsam mit seinem älteren Bruder für den Lebensunterhalt der Familie verantwortlich.

00:06:45: 2 Karl Lauschke: Das Familieneinkommen reichte nicht mehr aus und von daher war er gezwungen, eine Lehre anzutreten, obwohl er sicherlich ganz gerne die Schule weiterbesucht hätte. Aber das war einfach aufgrund dieser sozialen äußeren Bedingungen überhaupt nicht möglich.

00:06:58: 6 Maria Popov: Also fängt Hans eine Lehre zum Metallschläger an.

00:07:01: 5 Karl Lauschke: Das ist ein physisch sehr anstrengender Beruf, bedarf auch einer gewissen Geschicklichkeit.

00:07:06: 6 *Musik*

00:07:09: 1 Maria Popov: Nach seiner Lehre geht Hans auf Wanderschaft. So ist es damals üblich. Als Jugendlicher zum ersten Mal von zu Hause weg. Ich kann mir vorstellen, dass das eine ziemlich aufregende Zeit für ihn war. Aber wie es ihm wirklich dabei ging und was ihn beschäftigt hat, darüber gibt es leider keine Aufzeichnungen. Aber ihm scheint schon damals soziale Gerechtigkeit wichtig gewesen zu sein. Mit 19 Jahren tritt er in die SPD ein und wird Gewerkschaftsmitglied.

00:07:34: 4 Karl Lauschke: Das war noch eine junge Bewegung. Sowohl die Sozialdemokratie, aber auch die Gewerkschaften, die entwickeln sich ja erst allmählich. Und er war dann auch kommunalpolitisch tätig.

00:07:42: 8 Maria Popov: Eines der ersten politischen Ziele von Hans Böckler, die Gründung einer Ortskrankenkasse. Die gibt es damals in Fürth nämlich noch gar nicht. Hans Böckler setzt sich also für andere ein und er merkt auch selbst, wie hilfreich die Arbeit der Gewerkschaften ist. Dadurch, dass er mit 13 Jahren die Schule abbrechen musste, hat er vieles verpasst. Aber jetzt besucht er Abendkurse, die von den Gewerkschaften angeboten werden und lernt freiwillig Mathe und Buchführung. In dieser Zeit lernt er auch seine Ehefrau Magdalena kennen. Die beiden verlieben sich und bekommen in kurzer Zeit drei Kinder.

00:08:14: 8 Karl Lauschke: Hans Böckler und Magdalena Barbara Müller, die waren nicht verheiratet, weil im Grunde genommen die rechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben waren. Sprich, erst als Hans Böckler quasi seine gesicherte wirtschaftliche Existenz nachweisen konnte, bekam er sozusagen den Bürgerstatus und er hat dann offiziell auch geheiratet. Das war dann 1899. Also die Ehe bestand schon eine geraume Zeit, wie gesagt, auch mit drei Kindern, aber rechtlich wurde das dann erst vollzogen 1899. Im Zusammenhang auch mit den Bürgerrechten, die er dann bekam.

00:08:47: 5 Maria Popov: Mit Mitte 20 ist Hans also endlich wahlberechtigt und kann heiraten. Aus heutiger Sicht unvorstellbar, dass so wichtige Grundrechte an Bedingungen geknüpft waren. Hans weiß, wie schwierig die Arbeit als Metallschläger ist, darum setzt er sich für bessere Arbeitsbedingungen für seine Kollegen ein.

00:09:05: 5 Karl Lauschke: Das eine ist die Arbeitszeit und auf der anderen Seite natürlich auch die Bezahlung. Auch das war dann nur möglich mit Hilfe von Streiks. Und auch da lief jeder einzelne Gefahr, entlassen zu werden. Also das war immer mit großen, großen Risiken verbunden. Und, ja gut, diese Risiken haben viele auf sich genommen dann.

00:09:23: 6 Maria Popov: In dieser Zeit engagiert sich Hans noch ehrenamtlich für die Gewerkschaft, also neben seinem regulären Job. Aber das ändert sich 1903. Hans ist inzwischen 28 Jahre alt und wird Gewerkschaftssekretär. Und in dieser Funktion darf er nicht mehr selber bestimmen, wo er arbeitet. Er wird versetzt, nämlich ins Saarland.

00:09:41: 9 Karl Lauschke: Es gab eine sehr starke Bergbau- und Eisen- und Stahlindustrie im Saarland. Und da herrschten die Unternehmer also wirklich unangefochten. Und die versuchten auch mit allen Mitteln sozusagen ihre Macht dann durchzusetzen.

00:09:54: 9 Maria Popov: Die Unternehmer versuchen, ihre ArbeiterInnen zu überwachen und mischen sich sogar in ihr Privatleben ein. Wer sich an Streiks beteiligt oder anderweitig gegen die Auflagen der Unternehmer verstößt, verliert seinen Job.

00:10:07: 6 Karl Lauschke: Bei diesem Regime, was da im Saarland herrschte, konnte man sich kaum als offen als Sozialdemokrat bekennen oder auch als Gewerkschafter. Man musste Geheimtreffen verabreden.

00:10:16: 7 Maria Popov: Der Kaiser ist nämlich gar kein Fan von einer gleichberechtigten demokratischen Gesellschaft und besseren Lebensbedingungen für die ArbeiterInnenklasse.

00:10:25: 3 Karl Lauschke: Man sah nach wie vor, gerade in der Sozialdemokratie, einen Feind der bürgerlichen Gesellschaft. Und es gab dann auch verschiedene Gesetzesvorlagen, die mit Gefängnis- und Zuchthausstrafen drohten für bestimmte Aktionen, für bestimmte Tätigkeiten. Also damit musste man rechnen allgemein im Deutschen Kaiserreich und speziell noch mal im Saarland durch das Regime der schwerindustriellen Unternehmer.

00:10:49: 0 Maria Popov: Davon lässt sich Hans Böckler in seinem Einsatz für soziale Gerechtigkeit aber nicht abhalten. Er macht weiter, bis der Metallarbeiterverband ihn versetzt. In den nächsten Jahren arbeitet er in Frankfurt, Breslau und Berlin. Seine Familie muss häufig umziehen, aber Hans hat ein höheres Ziel und dem ordnet er sein Privatleben unter.

00:11:08: 4 Karl Lauschke: Da war er wirklich ja auch in der Überzeugung, die Zukunft, die liegt bei den Arbeiterinnen und Arbeiter im Grunde genommen. Und die repräsentiert auch das Volk.

00:11:18: 2 *Musik*

00:11:21: 4 Maria Popov: Da ist Hans Böckler fast 40 Jahre alt, bricht der Erste Weltkrieg aus. Wie viele andere Männer wird Hans eingezogen. Er wird allerdings schon nach kurzer Zeit verwundet und kommt zurück nach Berlin. Hier kann er weiter seiner gewerkschaftlichen Arbeit nachgehen, bis der Krieg dann 1918 vorbei ist.

00:11:40: 5 Karl Lauschke: Der Kaiser musste abdanken, also von daher stand ein Regimewechsel in Deutschland natürlich an. Und in dieser Situation, wenn man so will, eines Machtvakuums, wo politisch im Grunde auch noch nicht ganz klar war, wo es hinführt, da gab es ein wichtiges Abkommen zwischen maßgeblichen Unternehmervertretern und den Gewerkschaften.

00:11:58: 6 Maria Popov: Karl Lauschke spricht hier vom Stinnes-Legien-Abkommen. Worum es dabei genau geht, das haben wir in unserer ersten Folge zum Tarifvertragsgesetz besprochen.

00:12:07: 2 Karl Lauschke: Mit diesem Abkommen wurde den Gewerkschaften viele, viele Forderungen erfüllt, die man schon immer gestellt hatte.

00:12:13: 0 Maria Popov: Zum Beispiel wird der Acht-Stunden-Tag eingeführt und die Gewerkschaften werden als offizielle Tarifparteien anerkannt. Und es kommt zur Gründung der Zentralarbeitsgemeinschaft, in der Arbeitgeber und Gewerkschaften soziale und wirtschaftspolitische Fragen verhandeln. Die ist für die Gewerkschaften eine wichtige Einrichtung, um die Rechte von ArbeitnehmerInnen zu stärken und sich für die noch junge Demokratie einzusetzen.

00:12:36: 7 Karl Lauschke: Böckler war ein sehr großer Anhänger genau dieser Idee, weil er darüber meinte, also dass wesentliche Ziele der Gewerkschaften auch wirklich verwirklicht werden können, ohne dass es zu solchen revolutionären Umbrüchen kommt. Das lehnt er allemal ab.

00:12:49: 2 *Musik*

00:12:52: 9 Maria Popov: Von Revolution und Chaos hat Hans Böckler nämlich zu diesem Zeitpunkt die Nase voll. Er wünscht sich nämlich geordnete Verhältnisse, in denen die ArbeiterInnen mit den ArbeitgeberInnen, also Arbeit und Kapital, gleichgestellt sind. Ganz so einfach wird das aber nicht, denn die Weimarer Republik ist alles andere als stabil. Zwischen 1918 und 1933 hat sie 21 verschiedene Regierungen, die oft nur für wenige Monate im Amt bleiben. Und auch Hans erlebt immer wieder Veränderungen. 1920 wird er nach Köln versetzt. In Köln wird er zuerst Leiter der Verwaltungsstelle des Metallarbeiterverbandes. Später wird er Stadtverordneter für die SPD. In dieser Zeit trifft er einen Menschen, der bis zu seinem Tod immer wieder eine wichtige Rolle spielen wird. Konrad Adenauer, damals Bürgermeister von Köln.

00:13:44: 5 Karl Lauschke: Adenauer war Parteimitglied im Zentrum, in der katholischen Partei. Böckler war Sozialdemokrat. Aber man darf nicht verkennen, dass im Laufe der Weimarer Republik die Kommunisten auch nicht gerade schwach waren. Und die waren auch im Parlament vertreten.

00:13:59: 1 Maria Popov: Darum kommt es immer wieder zu Bündnissen zwischen Adenauers Zentrumspartei und Böcklers SPD. Die beiden streiten aber auch viel miteinander und haben oft andere Ansichten.

00:14:09: 1 Karl Lauschke: Also das war dann zum Teil auch in dem Punkt eine heftige Auseinandersetzung zwischen den beiden, aber man wusste, mit wem man zu tun hatte.

00:14:16: 5 Maria Popov: Die beiden sind also nicht direkt befreundet, aber sie respektieren einander. 1928 zieht Hans Böckler dann für die SPD in den Reichstag ein.

00:14:25: 2 Karl Lauschke: Da war er Hinterbänkler im wahrsten Sinne des Wortes. Er saß ganz hinten, hat nur eine Rede gehalten, aber ansonsten hat er sich da zurückgehalten.

00:14:32: 4 Maria Popov: Denn ab 1929 sorgt die Weltwirtschaftskrise dafür, dass die politische Situation immer instabiler wird. Und die NSDAP gewinnt immer mehr an politischem Einfluss.

00:14:43: 3 Karl Lauschke: Für Böckler ging es immer darum, auch was so die kommunale Ebene anbelangt, dass die Arbeitslosigkeit, dass die beseitigt wird oder dass man da versucht hat zumindest das Schicksal derjenigen, die arbeitslos werden, dass man das mildert. Sozialpolitik war zwar sein Thema, aber es wurde nachher natürlich sehr stark überlagert von diesen grundsätzlichen politischen Auseinandersetzungen mit dem aufkommenden Nationalsozialisten.

00:15:06: 6 Maria Popov: Hans Böckler ist sich der Gefahren durch die NationalsozialistInnen bewusst.

00:15:10: 7 Karl Lauschke: In Reden hat er natürlich darauf hingewiesen, was im Grunde genommen das bedeutet, wenn die Nationalsozialisten da ins Ruder kommen.

00:15:18: 0 *bedrohliche Musik*

00:15:20: 5 Maria Popov: Am 30. Januar 1933 übernehmen Hitler und seine Partei die NSDAP die Macht in Deutschland. In kürzester Zeit zerstören sie die Demokratie. Und am 2. Mai 1933 machen sie sich dann an die Zerschlagung der Gewerkschaften. Wie genau dieser Tag abgelaufen ist, dazu haben wir eine ganz eigene Folge gemacht, die wir euch in den Shownotes verlinken.

00:15:44: 5 Karl Lauschke: Und viele Gewerkschaften, das traf dann nachher auch Böckler, denen wurde ja vorgeworfen, sie hätten sich sozusagen an dem Vermögen der Arbeiterschaft bereichert. Das war vielfach auch ein Punkt, nicht nur, dass man ihnen politisches Verhalten dann, politische Stellung dann vorgehalten hat, sondern im Grunde genommen auch dann nachweisen wollte, sie sind ja eigentlich Arbeiterverräter. Und dem war dann auch der Böckler ausgesetzt. Der war dann auch kurzzeitig verhaftet worden.

00:16:09: 3 Maria Popov: In den nächsten Jahren wird Böckler immer wieder in sogenannte Schutzhaft genommen. Aber er hat Glück und kommt nach kurzer Zeit wieder frei. Trotzdem ist die Situation extrem bedrohlich und belastend. Auch wirtschaftlich geht es der Familie schlecht.

00:16:23: 7 Karl Lauschke: Und bei Böckler war das so, wie bei manchen anderen auch, sahen die großen Gefahren, die jetzt dann bestanden. Und sahen auch, dass im Grunde genommen zu dem Zeitpunkt auch ein offener Widerstand nicht möglich ist, dass der wenig Erfolg versprechend ist.

00:16:40: 3 Maria Popov: Trotzdem engagiert sich Hans Böckler im gewerkschaftlichen Widerstand. Er versucht, mit Leuten von früher in Kontakt zu bleiben und bereitet sich mit seinen alten KollegInnen auf den Tag vor, an dem gewerkschaftliche Arbeit wieder möglich sein wird. In dieser Zeit hat er auch Kontakt zu Wilhelm Leuschner, einem der Beteiligten am Stauffenberg-Attentat auf Hitler. Als das Attentat scheitert, taucht Böckler mit seiner Ehefrau unter. Sie ziehen sich zurück in eine Hütte auf dem Land. Hans Böckler ist zu diesem Zeitpunkt schon Ende 60. Statt politische Reden zu halten, verdient er sich jetzt als Knecht und Holzfäller etwas zu seiner Rente dazu. Und dann, 1945, ist der Zweite Weltkrieg endlich vorbei.

00:17:22: 9 *Musik*

00:17:29: 3 Maria Popov: Hans Böckler ist inzwischen schon ein alter Mann. Er hat zwei Weltkriege miterlebt. Den Wechsel vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, dann zum Deutschen Reich und schließlich die Gründung der Bundesrepublik. Aber aufhören kommt für ihn nicht in Frage. Nach zwölf Jahren Nationalsozialismus, in denen er die Füße stillhalten musste, will er jetzt endlich wieder für seine Überzeugungen kämpfen.

00:17:51: 6 Karl Lauschke: Seine Kontakte, die er alle hatte, die konnte er dann natürlich nutzen. Und das war genau die Situation, dass er im Grunde genommen jetzt, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, davon ausging, jetzt die Chance, die nach dem Ersten Weltkrieg vertan wurde, die müssen wir jetzt nutzen.

00:18:06: 1 Maria Popov: Denn Böckler träumt weiterhin von einer demokratischen Gesellschaft und Wirtschaft, in der alle Menschen gleichberechtigt mitbestimmen können.

00:18:13: 4 Karl Lauschke: Im Grunde genommen ging es darum, dass die Arbeiterschaft sozusagen ein vollwertiger Teil innerhalb der Gesellschaft ist. Das heißt, dass sie entsprechende Mitsprache- und Mitbestimmungsmöglichkeiten haben und dass die Wirtschaft auch nach Gesichtspunkten läuft, nicht nach partikularen Interessen nur der Unternehmer, sondern dass das auch ein Gemeinschaftswerk ist, dass alle beteiligt werden, gleicherweise.

00:18:37: 4 Maria Popov: Im Oktober 1949 kommt es zur Gründung des DGB, des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Das ist der Dachverband der Gewerkschaften, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in ganz Deutschland neu gegründet haben. Vor 1933 war Hans Böckler bereits in einem Vorläufer des DGB aktiv. Jetzt, nach so vielen Jahren, in denen er sich engagiert hat, wird er zum Vorsitzenden gewählt.

00:19:03: 6 O-Ton: Erwartungsvolle Stille herrscht im ganzen Saal. Soeben haben sich die 16 Vorsitzenden der Industriegewerkschaften und die Mitglieder des Gewerkschaftsrates zu einem Pult begeben, das vorne unter der Tribüne aufgestellt worden ist. Die Anwesenden haben sich alle von ihren Sitzen erhoben. Und als erster unterzeichnet nun Hans Böckler, der Vorsitzende des Gewerkschaftsrates.

00:19:36: 1 Maria Popov: Wenn ihr euch dafür interessiert, wie genau dieser Tag abgelaufen ist, Surprise, Surprise, auch dazu haben wir eine ganze Podcast-Folge gemacht, die findet ihr ebenfalls in den Showdowns. Jedenfalls hält an diesem Tag, an dem der DGB gegründet wird, natürlich auch Hans Böckler eine Rede.

00:19:52: 8 O-Ton Böckler: Heute stehen die arbeitenden Menschen ohne Rücksicht auf parteipolitische und weltanschauliche Unterschiede in echter Verbundenheit zusammen. Wir haben den ehrlichen Willen, die Gewerkschaft so zu gestalten, dass sie allen Arbeitnehmern künftig eine echte Heimat ist.

00:20:16: 1 Maria Popov: Hans Böckler glaubt fest daran, dass es nur einen Weg für Deutschland geben kann. Eine Wirtschaftsdemokratie, in der die ArbeiterInnen mitbestimmen können.

00:20:25: 8 O-Ton Böckler: Die Umstellung der gesamten komplizierten Maschinerie der Volkswirtschaft auf neue Grundlagen ist eine schwierige praktisch-politische und wirtschaftsorganisatorische Aufgabe. Die wichtigste Voraussetzung für ihre Lösung ist die geistig-moralische Neuorientierung der Menschen. Das heißt, eine Renaissance des sozialen Gewissens.

00:20:53: 2 Maria Popov: Und mit Blick auf die NS-Diktatur betont er:

00:20:56: 7 O-Ton Böckler: Ein politisch freier Mensch, ein Wirtschaftsbürger, wie wir ihn schaffen wollen, wird niemals Konzentrationslager und Unfreiheit dulden. Darum sind wir Gewerkschafter stets so zukunftsfreudig.

00:21:14: 9 Maria Popov: Auch wenn Hans Böckler selbst SPD-Mitglied ist, ist es ihm sehr wichtig, dass der DGB parteipolitisch unabhängig bleibt.

00:21:22: 2 Karl Lauschke: Prinzip war für ihn, wir lassen uns in die gewerkschaftlichen Fragen nicht reinreden von der Partei, sondern das ist eine autonome Entscheidung, die wir treffen und da hat die Partei nichts zu sagen.

00:21:33: 7 Maria Popov: Auch wenn Hans Böckler zu diesem Zeitpunkt mit inzwischen über 70 Jahren so etwas wie den Höhepunkt seiner Karriere erlebt, macht er selbst nicht besonders viel Gewese um seine Person.

00:21:44: 3 Karl Lauschke: Er verstand sich, denke ich mir, schon sozusagen als ein Diener quasi für diese Ziele und für diese Bewegung. Wie gesagt, die Person, denke ich mir, war sehr zurückhaltend.

00:21:54: 7 Maria Popov: Und alle anderen Lebensbereiche, Gesundheit, Freizeit, Familie, werden dieser Haltung untergeordnet.

00:22:01: 1 Karl Lauschke: Damals konnte man von einer Work-Life-Balance überhaupt nicht sprechen. Da war keine Balance. Das war Work und sonst nichts.

00:22:10: 6 *Musik*

00:22:12: 2 Maria Popov: Vielleicht erinnert ihr euch noch an Magdalena, die Ehefrau von Hans? Ja, Quality Time haben die beiden wohl nicht gerade miteinander verbracht. In einem Radiointerview mit dem NWDR sagt sie 1950 folgendes.

00:22:26: 7 O-Ton Interviewer: Sie haben jetzt das Leben, Ihr Leben an der Seite Ihres Gatten wirklich nicht immer genossen. Denn ein Mann, der so in der Öffentlichkeit steht wie ihr Gatte, von dem haben Sie als Frau nichts.

00:22:39: 4 O-Ton Magdalena Böckler: Nee, da habe ich ja nichts. Der geht fort, acht Tage, und dann kommt er wieder und holt sich frische Wäsche, packt ein und haut wieder ab. Oder aber er liest Zeitungen stundenlang. Wenn man dann sagt, ja, ich bin ja auch noch hier, ja, ich muss meine Zeitungen lesen, nützt alles nichts, ich weiß nicht, was in der Welt vorgeht. Dann liest er seine Zeitungen.

00:23:02: 8 O-Ton Interviewer: Das ist ja nun eine versteckte Klage, Frau Böckler, aber Sie haben doch vielleicht auch in Ihrer Ehe schöne Tage erlebt oder auch Erinnerungen und vielleicht auch manche Schwere mit Ihrem Gatten erlebt, was Sie einfach nicht missen möchten.

00:23:15: 0 O-Ton Magdalena Böcker: Da weiß ich aber nicht viel. Denn von zu Hause weggekommen sind wir in der Weltgeschichte rumgezogen, von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Überall hat mein Mann nur gearbeitet und viel gearbeitet.

00:23:29: 8 O-Ton Interviewer: Aber einmal ganz ehrlich, die Rolle, die Ihnen das Leben aufgezwungen hat, hat das Sie verbittert oder sind Sie mit Ihrem Los durchaus zufrieden?

00:23:38: 5 O-Ton Magdalena Böckler: Ja, es hat mich manchmal verbittert. Ich bin aber auch zufrieden. Denn im Großen und Ganzen ist er ja doch ein recht guter Kerl.

00:23:47: 5 Maria Popov: Nützt alles nichts. Die Geschlechterverhältnisse zu Beginn der 50er Jahre waren auf jeden Fall sehr anders als heute. Während seine Frau Magdalena zu Hause ihr Ding macht, stürzt Hans Böckler sich 1950 noch mal in einen letzten großen Kampf für die ArbeiterInnen, für die Gewerkschaften und für die Demokratie. Denn Böckler träumt davon, dass alle ArbeiterInnen die Möglichkeit bekommen, in der Arbeitswelt gleichberechtigt mitzubestimmen.

00:24:15: 5 Karl Lauschke: Der Böckler legte großen Wert darauf, dass nicht nur die Aufsichtsräte paritätisch besetzt sind von den großen Gesellschaften, sondern dass es natürlich auch sowas wie einen Arbeitsdirektor gibt. Dass eine Person, getragen vom gewerkschaftlichen Vertrauen, mit im Vorstand als gleichberechtigtes Mitglied ist.

00:24:29: 2 *Musik*

00:24:32: 2 Maria Popov: Die Aufsichtsräte entscheiden mit darüber, was in einem Unternehmen passiert. Und Hans Böckler war wichtig, die sollten zur Hälfte aus ArbeitnehmerInnen bestehen. Aber damit es bei Abstimmungen nicht immer wieder zu Pattsituationen kommt, sollte es eine neutrale Person geben, die von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite akzeptiert wird. Ab 1950 wird in der Eisen- und Stahlindustrie und im Bergbau darüber abgestimmt, ob gestreikt werden soll. Denn die Mitglieder wollen, dass ihre Mitbestimmungsrechte gesetzlich verankert werden. Wie genau das damals abgelaufen ist, darüber haben wir in der letzten Folge gesprochen. Link in den Shownotes. Jedenfalls kommt es immer wieder zu Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmern. Hans Böckler kann häufig nicht teilnehmen. Er ist nämlich herzkrank und muss dadurch zur Kur. Seine Ärzte, die empfehlen ihm, endlich weniger zu arbeiten. Aber Böckler sagt, auf keinen Fall.

00:25:26: 2 Karl Lauschke: Deshalb hat er gesagt, da muss ich auch meine ganze Kraft sozusagen einsetzen, auch wenn ich die Kur unterbrechen muss und wenn das zulasten meiner weiteren Gesundheit geht, um das zu retten. Da war er dann tätig geworden.

00:25:38: 4 Maria Popov: In der sogenannten Montanindustrie, also dem Bergbau und der Eisen- und Stahlindustrie, ist die Stimmung inzwischen immer angespannter. Die ArbeitnehmerInnen drohen sogar damit, der Reihe nach zu kündigen, wenn ihnen nicht mehr Mitbestimmungsrechte zugestanden werden.

00:25:53: 4 Karl Lauschke: Also aus Sicht von Böckler war klar, das lässt sich nur auf oberster Ebene und dann im kleinen Kreis nach Möglichkeit regeln, was die Eckpunkte anbelangt. Und deshalb sein Interesse, aber auch das von Adenauer, dass die sich sozusagen darüber verständigen. Die haben Vieraugengespräche geführt. Also da war wirklich niemand dann dabei.

00:26:14: 4 Maria Popov: Hans Böckler setzt sich also mit seinem alten Bekannten Konrad Adenauer, dem ersten Bundeskanzler Deutschlands, zusammen. Die beiden sind nach 1945 im Zonenbeirat der britischen Besatzungszone.

00:26:26: 3 Karl Lauschke: Der tagte in Hamburg und beide waren ja in Köln. Und die sind dann zusammen gefahren häufig zur Sitzung des Zonenbeirates. Man muss sich das vorstellen, das war ja auch nicht in einer Stunde geschehen. Das heißt, während solcher Gelegenheit haben sie sich natürlich unterhalten. Also das hat natürlich auch, sagen wir mal, so eine Beziehung gefestigt, dass man meinte, mit dem kann man reden, mit dem kann man ausloten. Und da wird man doch wohl eine Lösung finden.

00:26:50: 9 Maria Popov: Und man findet eine Lösung. Nach harten Verhandlungen kann Hans Böckler Ende Januar 1951 im Radio verkünden:

00:26:59: 2 O-Ton Böckler: Die Bundesregierung, vertreten durch den Herren Bundeskanzler, der zeitweilig an den Verhandlungen beteiligt war, hat die bindende Erklärung abgegeben, unverzüglich Bundestag und Bundesrat ein Gesetz zu unterbreiten, durch dessen Annahme die zwischen den Sozialpartnern getroffenen Vereinbarungen geltendes Recht werden.

00:27:28: 6 Maria Popov: Die Montan-Mitbestimmung, also die paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten mit einer zusätzlichen neutralen Person, die kommt. Aber Hans Böckler erlebt nicht mehr, wie das Gesetz in Kraft tritt. Wenige Tage vor seinem 76. Geburtstag stirbt er an einem Herzinfarkt.

00:27:45: 9 Karl Lauschke: Das Begräbnis, das war ja gerade so ein Staatsakt gewesen.

00:27:49: 8 Maria Popov: In der Wochenschau, den Nachrichten, heißt es damals:

00:27:54: 1 O-Ton Wochenschau: Dr. h.c. Hans Böckler, der erste Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, verstarb in Köln im Alter von 76 Jahren. Sein Leben und seine Liebe galten der Arbeiterbewegung, an deren Schicksal er mit seinem ganzen Herzen ein Menschenalter lang teilnahm. Von der Düsseldorfer Zentrale der Gewerkschaften aus, auf der die Flaggen auf Halbmast gesetzt wurden, verfolgte Böckler sein Ziel, die Wirtschaftsdemokratie. Sein Schreibtisch ist verwaist, aber sein Werk, die Sicherung des sozialen Friedens und die Verpflichtung gegenüber der Gesamtheit wird fortgesetzt.

00:28:28: 1 *Musik*

00:28:32: 7 Maria Popov: Das war es also, das Leben von Hans Böckler. Aber wie viel ist von seinen Ideen und Idealen heute, 74 Jahre nach seinem Tod, noch erhalten? Darüber haben wir mit Claudia Bogedan gesprochen. Sie ist die Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung.

00:28:47: 6 Claudia Bogedan: Für uns ist Hans Böckler eben mehr als nur der Namensgeber der Stiftung.

00:28:52: 2 Maria Popov: Bis heute werden Menschen, die sich bei der Stiftung bewerben, im Vorstellungsgespräch danach gefragt, wer Hans Böckler war.

00:28:58: 8 Claudia Bogedan: Mit der Gründung des Dachverbandes, des Deutschen Gewerkschaftsbundes, hat Hans Böckler dazu beigetragen, dass bestimmte Problematiken des Zweiten Weltkrieges eben überwunden worden sind und ganz maßgeblich insgesamt zum Aufbau des Landes wieder und der Herstellung der Demokratie nach der verheerenden Diktatur der Nazis mitgewirkt hat.

00:29:17: 9 Maria Popov: Die Hans-Böckler-Stiftung setzt sich für mehr Mitbestimmung ein und fördert Forschung, die sich zum Beispiel damit auseinandersetzt, wie gerecht der deutsche Arbeitsmarkt ist. Und, davon hat Madita am Anfang dieser Folge ja erzählt, sie vergibt Stipendien.

00:29:31: 7 Claudia Bogedan: Wir sind eines der größten begabten Förderungswerke in Deutschland und bei uns können jährlich 2.400 StipendiatInnen ihren Weg zu einem Universitätsabschluss machen. Die Hans-Böckler-Stiftung fördert die meisten jungen Studierenden, die als erste in ihren Familien studieren, sogenannte Erstakademiker-Kinder. Und damit tragen wir natürlich zu einem ganz großen Stück eben auch zu mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland bei.

00:29:54: 9 Maria Popov: Außerdem setzt sich die Stiftung für mehr Mitbestimmung in Betrieben ein.

00:29:59: 1 Claudia Bogedan: Bei der aktuellen politischen, aber auch wirtschaftlichen Lage in unserem Land glauben wir, dass die Mitbestimmung im Betrieb und auf der Unternehmensebene ein Beitrag dazu ist, die Demokratie insgesamt zu stabilisieren. Wir brauchen gute Lösungen statt eben Egoismus, um weiter auch ein soziales Land zu bewahren, um die Spaltung in der Gesellschaft überwinden zu können.

00:30:19: 0 Maria Popov: Claudia Bogedan ist besorgt darüber, dass es betriebliche Mitbestimmungen heute immer weniger gibt, meistens nur noch in großen Konzernen. Denn die Forschung der Stiftung zeigt:

00:30:28: 6 Claudia Bogedan: Dass überall dort nämlich, wo Beschäftigte im täglichen Arbeiten erleben, dass sie keine Teilhabemöglichkeiten haben, dass sie sich nicht einbringen können, dass sie nicht wirksam werden können im Betrieb, um die Verhältnisse mitzugestalten, sondern überall dort, wo sie unterdrückt werden, wo sie schlechte Bezahlung haben, wo sie keine Teilhabe eben haben, dort erstarken eben auch die politischen Rechten. Dort neigen diese Menschen stärker zu antidemokratischen Einstellungen und haben auch eine größere Angst vor den Veränderungen durch die Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft.

00:31:01: 4 Maria Popov: Wer also auf der Arbeit erlebt, dass die eigene Stimme wichtig ist, wählt eher demokratische Parteien. Der Ansatz von Hans Böckler, dass mehr Mitbestimmung gut für die Demokratie ist, gilt also bis heute.

00:31:14: 0 Claudia Bogedan: Wir wünschen uns ein weiterhin soziales Land in Deutschland. Wir wünschen uns ein Land, in dem alle Beschäftigte gute Rechte haben, gute Arbeit haben können. Wir wünschen uns aber auch eben ein Land, in dem jeden Tag Demokratie weiter lebendig gelebt werden und wo die Menschen nicht am Arbeitsplatz Unterdrückung und fehlende Mitsprache haben.

00:31:35: 0 Maria Popov: Dadurch sinkt auch das Vertrauen in die Politik.

00:31:37: 8 Claudia Bogedan: Wenn ich von der Politik den ganzen Tag höre, wir leben in einem demokratischen Land und hier haben alle Rechte und überhaupt, es geht eigentlich allen sowieso viel zu gut und deshalb können wir auch in den Sozialausgaben noch weiter rumschrauben, dann steht das ganz stark eben in dem Widerspruch zu dem, was wir aus unserer Forschung wissen, was das Erleben der meisten Menschen ist. Die meisten Menschen erleben im Moment eben nicht, dass es ihnen gut geht. Sie haben sehr große Sorgen vor der Zukunft.

00:32:01: 2 Maria Popov: Aber wie schaffen wir es, Menschen zu stärken, die Angst davor haben, dass ihr Geld nicht für die Miete reicht, die sich Sorgen um steigende Heizkosten machen oder von ihrem Arbeitgeber schlecht behandelt werden?

00:32:12: 0 Claudia Bogedan: Der erste Weg ist tatsächlich immer zur Gewerkschaft, weil die Gewerkschaft hilft eben auch in Einzelfragen. Die kann beraten, die kann unterstützen, die kann begleiten. Und wir sehen das überall dort, wo es dann auch in Betrieben mehr als vielleicht ein oder zwei oder fünf oder zehn Beschäftigte gibt, die in dieser Gewerkschaft sind, kann eben dann auch die Gewerkschaft anfangen, Strukturen zu gründen.

00:32:33: 3 Maria Popov: Zum Beispiel unterstützen die Gewerkschaften die Beschäftigten, die einen Betriebsrat gründen wollen. Je mehr Leute sich in einem Betrieb für die Mitbestimmung einsetzen, desto besser.

00:32:42: 5 Claudia Bogedan: Gemeinsam sind wir stark, gemeinsam sind wir viele und gemeinsam können wir dann eben auch eine gute Lösung finden und gute Wege und eine gute Zukunft gestalten.

00:32:51: 6 *Musik*

00:32:55: 2 Maria Popov: Was würde Hans Böckler wohl heute über unsere Arbeitswelt denken? Einerseits wäre er wahrscheinlich enttäuscht darüber, dass die paritätische Mitbestimmung immer noch nicht für alle ArbeitnehmerInnen gilt. Und vermutlich würde er sich auch große Sorgen machen über die hohen Zustimmungswerte für rechte und populistische Parteien. Und über den Zustand unserer Demokratie. Gleichzeitig wäre er vermutlich auch stolz darüber, dass sich fast 75 Jahre nach seinem Tod immer noch so viele Menschen in seinem Namen dafür engagieren, dass die Welt gerechter wird für alle. Falls ihr übrigens überlegt, in eine Gewerkschaft einzutreten, dann verlinken wir euch in den Shownotes Informationen dazu.

00:33:34: 8 *Musik*

00:33:40: 0 Maria Popov: Das war „Geschichte wird gemacht“. Abonniert den Podcast, um keine Folge zu verpassen. Wenn der Podcast euch gefällt, dann freuen wir uns, wenn ihr uns bei Apple Podcasts oder auf Spotify eine Bewertung dalasst. „Geschichte wird gemacht“ ist eine Produktion von hauseins im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Ich bin eure Host: Maria Popov. Redaktion: Katharina Alexander für hauseins und Dieter Pougin für die Hans-Böckler-Stiftung. Produktionsleitung: Stefanie Groth. Schnitt und Sounddesign: Joscha Grunewald. Tschüss und bis zum nächsten Mal.

00:34:11: 4 *Musik*

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